In Zeiten von „Fake Facts“ gilt es, die Freiheit der Wissenschaft zu schützen und zu stärken. Und auch wir Grüne brauchen ein unwidersprüchliches Verhältnis zur Wissenschaft und zu Fakten. Davon profitiert auch die Qualität politischer Richtungsentscheide, argumentiert Paula Piechotta.
Paula Louise Piechotta über Fakten in Grüne Blätter 2/2018: Gedanken & Spiele
Wenn man unserer oft verstörenden Gegenwart etwas Positives abgewinnen kann, dann, dass die Abgründe unserer Zeit uns als Grüne intensiver diskutieren lassen und wir eine größere Tiefenschärfe bei vielen Themen erreichen, die uns vor kurzem noch gar nicht wichtig erschienen.
Unsere Demokratie braucht die Freiheit der Wissenschaft
Eines dieser Themen ist die grundlegende Bedeutung von Wissenschaft und Fakten. Wir sehen, wie die Rechten offen Klimawissenschaften und Soziologie tagtäglich diffamieren und ihnen die gesellschaftliche Unterstützung entziehen wollen – weil die Unterdrückung von Forschung ganz elementare Voraussetzung für eine rückwärtsgewandte, desinformierte Gesellschaft ist. Deswegen ist es auch nur folgerichtig, dass wir als Grüne beim March for Science mitlaufen und die Wissenschaftsfreiheit weltweit schützen wollen.
Durch die neue Schärfe des Themas werden aber auch unsere eigenen Widersprüche deutlicher: Es war immer seltsam, dass wir einerseits auf fast jeder BDK eine Klimawissenschaftlerin einladen, aber andererseits zum Beispiel die ehemalige grüne Gesundheitsministerin in NRW Naturwissenschaft per se öffentlich infrage stellte: „Ich finde es anmaßend, wenn irgendwer meint, dass man naturwissenschaftlich den Menschen, Krankheitsprozesse […] erklären könnte.“ Wer aber Wissenschaftsfreiheit gegen die Rechten verteidigen will, der muss dies für alle Bereiche der Wissenschaft tun, alles andere ist widersprüchlich und unglaubwürdig – und Glaubwürdigkeit ist in der Auseinandersetzung mit den Rechten ein unabdingbares Gut.
Eine starke Wissenschaft stärkt politische Entscheidungen
Die Wissenschaft sucht heute nach den Zusammenhängen, auf deren Grundlage Gesellschaft morgen überhaupt erst informiert entscheiden kann – von technologisch assistierter Fortpflanzung über künstliche Intelligenz bis zu Gentherapien schwerer Krankheiten: Die Fragen der Zukunft sind ohne wissenschaftliche Grundlagen nicht beherrschbar. Deswegen ist es auch fatal, wenn die neulich vom Bundesvorstand vorgeschlagene Debatte zur Agro-Gentechnik sofort im Keim erstickt werden sollte: Was sind wir für eine Partei, wenn wir zu Zukunftsthemen nicht einmal mehr eine ergebnisoffene Diskussion zulassen?
Aus einem aufgeklärteren grünen Verhältnis zur Wissenschaft kann übrigens auch ein höherer Anspruch an Wissenschaft entstehen. Wenn wir noch stärker als heute wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage gesellschaftlicher Weichenstellungen begreifen, dann sinkt auch unsere Toleranz für wissenschaftlichen Betrug und methodisch schlechte Forschung – denn politische Entscheidungen auf der Basis von „Fake Facts“ bedrohen auch immer die Nachhaltigkeit gesellschaftlicher Richtungsentscheide.
Unsere Demokratien durchlaufen gerade eine groß angelegte Reifeprüfung, deren Ausgang noch nicht entschieden ist: Wenn wir wollen, dass die gesellschaftlichen Fortschritte der letzten Jahrzehnte fortgeschrieben und verbessert werden können, dann brauchen wir dafür auch ein belastbareres Verhältnis zur Wissenschaft.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift über grüne Perspektiven: Grüne Blätter 2/2018: Gedanken & Spiele