Ein ehrlicher und amüsanter Bericht über Schrate, Sauerteig und wie aus einem bunten Haufen mit vielen Reibungen und Häutungen die Grüne Partei wurde. Unsere erste Landesvorsitzende Marieluise Beck erzählt von den bewegten Anfängen unserer grünen Geschichte.
Von Marieluise Beck für Grüne Blätter 3/2019: Mit Zukunft haben wir Erfahrung
1980: Schornbach im Rems-Murr-Kreis. Ein braver Ortsverband, getragen von einer strengen Mutter und ihrer Tochter, richtet den Parteitag der Grünen nach der erfolgreichen Landtagswahl aus. Der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde ist gelungen. Ein Architekt, ein autodidaktischer Atomkraftspezialist, eine Mitarbeiterin des Rundfunks und drei Lehrer ziehen in den Landtag ein.
Keine Macht für niemand!
Gemäß dem Motto: Keine Macht für niemand soll die vermeintlich machtvolle Stellung des Landesvorsitzenden, der nun ein Mandat hat, an eine andere Person übergehen. Gefunden hat sich keine überzeugende Lösung. Es gibt jedoch eine reichliche Zahl von Sonderlingen, die sich berufen fühlen. Und diese Sonderlinge haben es in sich: Anhänger von Silvio Gesell mit seiner abstrusen Geldtheorie besetzen die AG Wirtschaft. Eine Mischung aus Anthroposophen und Naturschützern steht für das Grün in den Grünen. Linke Basisgruppen mit Studenten im gefühlt 18. Semester sehen die Chance, ihre offensichtliche gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen. Ein Schuss Blut-und-Boden-Denken, verpackt als Rückkehr zum Ursprünglichen, zu Natur in ihrer Reinheit, rundet die krude Mischung ab. Zu jenen Zeiten schmückten dicke Sträuße aus Wiesenblumen die Halle. Der Duft von Selbstgebackenem liegt in der Luft. Das gute Leben eben, wie Grüne im Ländle es sich denken. Den Kern der Partei bildet der von Weinbauern getragene Widerstand gegen das Atomkraftwerk Wyhl. Damit gibt es einen starken bürgerlichen Flügel – anders als in den großen Universitätsstädten des Nordens, in denen die studentische Linke Regie führte. Kraft gewinnt die Partei auch durch den Beitritt eines weithin bekannten Fernsehpfarrers.
Die Kaperung des Vorsitzes durch einen Schrat aus dem schönen Schwarzwald kann verhindert werden. Ein Studienrat aus Esslingen hat eine clandestine Findungsgruppe auf die Beine gestellt. Suche: Frau, ohne Mandat, jung, mit bürgerlichem Potential, ökologisch und basisorientiert. Gefunden wird eine junge Lehrerin aus Pforzheim, politisch gänzlich unbeleckt, Pullover aus selbst gefärbter und gestrickter Wolle, gut im Aufsetzen von Sauerteig für das selbst gebackene Brot, wohnhaft im Dorf mit anderen Lehrern, vielleicht mit Potential, vielleicht ein Reinfall. Thema und Tagesordnung des Parteitags: vergessen. Das Chaos ist groß. Die frisch gebackene Parteivorsitzende, das oben beschriebene Greenhorn, vergaloppiert sich schon in ihrem ersten Auftritt. Mit pädagogischem Pathos mahnt sie zur Ordnung, vergleicht das Gebaren der Delegierten mit spastischen Bewegungen und musste sich dafür sogleich öffentlich entschuldigen.
Parteitage zu jener Zeit wurden heimgesucht von Stadtindianern. Einer obskuren – heute würden wir sagen – missbrauchten Gruppe von Kindern, Jugendlichen, die für eine freie Sexualität kämpften. Sie besetzten regelmäßig das Podium. Das Versprechen der Gewaltfreiheit untersagte es, mit der Gewalt des Staates einzugreifen. Was nach außen antiautoritär auftrat, wäre mit dem heutigen Blick ein klarer Fall von sexuellem Missbrauch von Kindern. Verdeckt durch eine vermeintliche brüderliche Begleitung durch wohlwollende, verständnisvolle Erwachsene. Dazu gehört der Name Otto Mühl. Kaum jemand kam damals auf die Idee, dass hier der Staatsanwalt hätte eingreifen müssen.
Noch ist das Verhältnis zum Bürgerlichen Gesetzbuch und zur Macht des Staates nicht ganz geklärt. Dazu gehört die euphemistisch formulierte und gestattete „Gewalt gegen Sachen“ gegenüber einer untersagten Gewalt gegen Menschen. Verfasserin dieses selbst gebastelten Kommentars zum StGB: Jutta von Ditfurth.
Notwendige Häutungen
Unendlich viele Häutungen brauchte es, bis aus diesem bunten Haufen ein Grün wurde ohne unappetitliche Ecken, ohne völkische Schlieren, ohne romantisches Linkssein, ohne die Verklärung des Ursprünglichen, ohne als Pazifismus verpacktes Antiwestliches. Diese Häutungen führten zum Verlust von vielen. Denunziatorische Rundbriefe, verfasst und kopiert in Karlsruhe, trieben manchen aus der Partei. Die Heuchelei war eine Waffe. Rotationsforderungen, Trennung von Amt und Mandat, Auflösung von Vorsitz in Gruppenvorstände, Quoten, das alles waren Instrumente von Machtkämpfen. Manche und mancher verließen entnervt die Partei und kehrte zu bürgerlichem Beruf und Privatheit zurück. Dass wir das alles letztlich überstanden haben, grenzt an ein Wunder. Mit klarem Kopf und messerscharfem Verstand, mit der Bereitschaft, Niederlagen einzustecken und auch mal unterzugehen, gab es da einen, der diese Häutungen maßgeblich vorantrieb. Und er ist dabei gestolpert. Gehe zurück auf Los, zurück in den Schuldienst. Aber das Knorrige hielt stand. Vom Remstal in die Staatskanzlei. Das mache uns einer mal nach.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift zu unserem 40. Geburtstag: Grüne Blätter 3/2019: Mit Zukunft haben wir Erfahrung