Die Verhandlungen sind in vollem Gang – es geht um eines der brisantesten Umwelt- und Gesundheits-Themen der vergangenen Jahre. Am 15. Dezember dieses Jahres läuft die Zulassung des hoch umstrittenen Pflanzengifts Glyphosat aus. Die EU-Kommission hätte sie gerne um zehn Jahre verlängert, doch die Beratungen im Europaparlament und unter den EU-Staaten der letzten Tage zeigen klar: Glyphosat hat keine Mehrheit mehr in Europa! Eine sehr gute Nachricht, freut sich die Grünen-Landesvorsitzende Sandra Detzer im Interview.
Die Zeichen stehen auf „Aus für Glyphosat“. Das wäre ein großer Erfolg für die Grünen.
Sandra Detzer: Absolut! Wir Grüne und viele, viele Mitstreiter – etwa in den Umwelt- und Naturschutzverbänden – kämpfen seit Jahren dafür, dass dieses Gift vom Acker und damit auch aus unserem Essen verschwindet. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Und Pflanzengifte wie Glyphosat sind hauptverantwortlich für den rasanten Artenschwund. In Deutschland wird Glyphosat auf rund 40 Prozent der Felder eingesetzt. Dramatisches Insektensterben, dramatisches Vogelsterben – wie lange wollen wir noch zusehen?
EU-Kontrollbehörden gaben Glyphosat den Stempel „unbedenklich“.
Für uns Grüne und unsere Mitstreiter war immer klar, dass hier – freundlich formuliert – unsauber gearbeitet wurde. Und die neuesten Erkenntnisse geben uns Recht: Bei den Bewertungen wurden Angaben der Industrie demnach ungeprüft akzeptiert. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) etwa hat seine Bewertung von Glyphosat über viele Seiten aus dem Zulassungsantrag des Herstellers Monsanto schlichtweg abgeschrieben.
Der Autor des Sachbuchs die „Akte Glyphosat“ spricht von einem „skrupellosen System“. Du hattest ihn in der Grünen Landesgeschäftsstelle zu Gast.
Helmut Burtscher, Umweltchemiker bei der österreichischen Umweltorganisation Global 2000, hat gründlich recherchiert. Wir hatten bei der Diskussionsveranstaltung mit ihm Gäste aus den Umwelt- und Naturschutzverbänden, der Landwirtschaft, aber auch ganz „normale“ Bürgerinnen und Bürger. Das zeigt, wie sehr die Menschen dieses Thema umtreibt. Was Helmut Burtscher herausgefunden hat, liest sich wie ein Öko-Thriller: Es geht um Milliardengeschäfte, um knallharte Lobbyarbeit, um unheilvolle Verstrickungen von Industrie und Kontrollbehörden und darum, dass ungewünschte Ergebnisse schlichtweg weginterpretiert werden. Burtschers Fazit lautet: Grundsätzlich ist das Kontrollsystem fehlerhaft – übrigens nicht nur bei Glyphosat. Wir brauchen dringend mehr Transparenz. Studien müssen öffentlich einsehbar sein. Und im Falle von Glyhosat: Die EU-Mitgliedstaaten müssen sich zum Schutz von 500 Millionen EU-Bürgern gegen eine Wiederzulassung des Pestizids aussprechen. Das haben Länder wie Frankreich, Österreich und Italien jetzt gemacht – im Gegensatz zu Deutschland, das sich bisher enthält.
Wie geht es nun weiter?
Wir müssen so schnell wie möglich weg vom massenhaften Glyphosat-Einsatz. Wir brauchen einen ernsthaften Ausstiegsplan. Wir brauchen Forschung und Beratung für unsere Landwirte. Unsere Grünen Agrar- und Glyphosat-Experten – Maria Heubuch im Europaparlament und Harald Ebner im Bundestag – fordern ganz klar, dass jetzt EU-weit verbindliche Anwendungsauflagen zum Schutz von Umwelt und Gesundheit festgelegt und umgesetzt werden müssen. Es muss klar festgelegt werden, dass es keine nochmalige Verlängerung mehr geben wird, so dass alle Beteiligten sich auf den Ausstieg einstellen können und müssen. Dafür werden wir Grüne uns in den anstehenden Gesprächen mit Union und FDP einsetzen. Wir sind optimistisch, dass auch sie spätestens jetzt verstanden haben, dass es kein „Weiter-so“ geben kann. Die nächste Bundesregierung muss den Glyphosat-Ausstieg besiegeln.
In Baden-Württemberg hast du mit CDU-Landwirtschaftsminister Peter Hauk aber einen Befürworter von Glyphosat.
Das nehme ich mit Sorge zur Kenntnis. Denn eine der zentralen Aufgaben der grün-schwarzen Koalition in Baden-Württemberg muss es sein, den Rückgang der biologischen Vielfalt zu stoppen. Mit jedem Singvogel stirbt ein Stückchen Heimat. Es kann nicht sein, dass die CDU am Sonntag die Bewahrung der Schöpfung predigt und Hauk wochentags mit der Giftspritze durchs Land zieht. Für uns Grüne ist klar, wohin die Reise in der Landwirtschaft gehen muss: Wir wollen eine Agrarwende hin zu einer Landwirtschaft, die Schluss mit der Massentierhaltung macht, die das Klima schützt und die Artenvielfalt bewahrt. Wir wollen eine Politik, die Umweltleistungen und Tierschutz belohnt und die ohne Gentechnik, Antibiotika-Missbrauch und Pestizide arbeitet. Darauf arbeiten wir Grüne in Baden-Württemberg und im Bund energisch hin.