„Menschsein gibt es nur im Plural“, zitiert Wolfgang Schäuble Hannah Arendt in seiner Laudatio auf dem Symposium „Demokratie neu denken“ zu Winfried Kretschmanns 70. Geburtstag. Derweil trocknet meine durch den Schauer auf dem Hinweg durchnässte Abendgarderobe. Ich sitze zwischen grünen Weggefährten wie Rezzo Schlauch, Stuttgarts Kulturelite wie Walter Sittler und schwarzen Sprenkeln wie Erwin Teufel.
Die Staatsgalerie ist in grünliches Licht getaucht, sonst karg und unfestlich. Staatsrätin Gisela Erler muss sich zu Beginn Gehör verschaffen, das technische Problem wird aber schnell gelöst. Die Pluralität von Meinungen in Regierungshandeln einzubinden – Öffentlichkeit hörbar zu machen – ist schließlich Erlers Auftrag. Wird die Veranstaltung dem gerecht? Ganz so neu scheinen mir die Ideen nicht zu sein – das ist so 2011.
Schäuble beklagt den Mangel an Fokus, der im Internet aufgrund von Informationsflut und Filterblasen herrsche, der früher durch die mediale Sortierung hergestellt worden sei. Hannah Ahrendt formulierte Ähnliches 1960 in „Der Raum des Öffentlichen und der Raum des Privaten“: „Nur ein Privatleben führen heißt […] in einem Zustand leben, in dem man bestimmter, wesentlich menschlicher Dinge beraubt ist. Beraubt nämlich der Wirklichkeit, die durch das Gesehen- und Gehörtwerden entsteht, beraubt einer ‚objektiven‘, d.h. gegenständlichen Beziehung zu anderen, […] wo Menschen durch die Vermittlung einer gemeinsamen Dingwelt von anderen zugleich getrennt und mit ihnen verbunden sind, beraubt schließlich der Möglichkeit, etwas zu leisten, was beständiger ist als das Leben.“
Armin Nassehi, Münchner Soziologieprofessor mit schwäbisch-iranischen Wurzeln, zitiert dazu Helmut Plessner: „Öffentlichkeit ist der soziale Verkehr unverbundener Menschen.“ Eine Demokratie ist auf öffentliche Debatten angewiesen. Es sei eine zivilisatorische Errungenschaft, sich trotz unterschiedlicher Meinung offen austauschen zu können. Eine funktionierende demokratische Öffentlichkeit ist – so steht es auch in der das Symposium begleitenden Festschrift – der Raum für den Diskurs, für den Gegenverkehr, der unser System von diktatorischen Einbahnstraßen unterscheidet. Aber, mahnt Nassehi, „die richtige Information trifft bisweilen auf ein Publikum, das gegen sie resistent ist. Weil die Praktiken, in denen es lebt, ganz offensichtlich dem argumentativen Zusammenhang widersprechen.“ Weil Vertrauen fehle, erleichtern einfache Botschaften das Leben in einer komplexen Welt. Wie können komplexe Botschaften dann einfacher verpackt werden, ohne populistisch zu sein, frage ich mich. Müssen wir in der Politik nicht zuerst oder gleichzeitig das tägliche soziale Leben verbessern, um Gehör zu finden? Und damit das Grundvertrauen in unsere Demokratie in bestimmten Kreisen zurückerobern? Wir sollten darüber reden.
Die anschließende Diskussion aus grüner Moderation, grünem MP, grünem Bundesvorsitzenden, grünnahem Journalisten und grünnaher Professorin tut das leider nicht. Gegenverkehr ist zwar erlaubt, aber offensichtlich nicht in persona eingeladen. Ich hatte auf einen kontroverseren Raum des Öffentlichen gehofft, in dem durch den Austausch zweier Argumente ein drittes entstehen kann. Auch nach dem Sturm auf das Buffet bleibt eine wirkliche Diskussion aus, obwohl hier die Bedingungen für Öffentlichkeit stimmen. Das Buffet ist nicht extravagant, wie von der Opposition vermutet. Alle sind satt. Dennoch bleibt ein fader Beigeschmack. Demokratie kenne ich vielfältiger, Buffets spannender. Ich bleibe hungrig. Also raus aus der eigenen Filterblase! Der Regen draußen hat aufgehört.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift über grüne Perspektiven: Grüne Blätter 2/2018: Gedanken & Spiele