Als Kuhkuschlerin galt Martina Braun, Agrarexpertin der grünen Fraktion, als sie mit ihrem Mann auf Ökolandwirtschaft umstellte. Heute haben in ihrem Schwarzwaldtal alle Höfe nachgezogen. Die Tiere vollführen Luftsprünge auf der Weide. Ihre Milch erzielt deutlich höhere Preise. Und das Land liefert mit Umstiegshilfen weitere Argumente, es den Idealisten gleich zu tun.
Von Steffen Becker für Grüne Blätter 1/2017: Ökologie
Fast hätte Martina ein Sommerloch-Tier in die Welt gesetzt. Ihre Kuh Iwon fand eine Lücke im Zaun und schickte sich an, die Umgebung unsicher zu machen. Eine Artgenossin, mit dem Namen Yvonne, machte auf diese Art Furore in den Gazetten. Aber Martinas Iwon war ein soziales Tier und ließ sich rasch von einer Freundin aus der Herde anlocken und einfangen. Womöglich, weil sie schon als Kalb in der Gruppe gehalten wurde – eines von vielen Dingen, die Ökobetriebe anders machen müssen und wollen. Die Aufzucht macht so zwar mehr Mühe, dafür sind die Tiere entspannter.
„Milch von glücklichen Kühen“
Mehr Aufwand, dafür glücklichere Tiere. Das sieht man auch im Stall. Die 75 Rinder betten sich auf mit Stroh eingestreuten Liegeflächen statt auf einem pflegeleichten Spaltenboden aus Beton. Nachdem Martina und ihr Mann den Hof entsprechend aufgerüstet hatten, dankten es die Tiere mit besserem Wachstum, größerem Appetit und schönerem Fell. Auf Facebook kann man ein Video sehen vom letztjährigen Weidetrieb. Die Kühe, die im Frühjahr ins Freie entlassen werden, vollführen Freudesprünge. Kaum vorstellbar, dass die Zeiten noch keine Generation zurückliegen, in denen im Schwarzwald die Kühe angebunden waren. „Milch von glücklichen Kühen“ ist ein alter Werbespruch. Aber er stimmt. In Iwon und ihren Artgenossinnen mehr zu sehen als nur ein Produktionsmittel, war für die Brauns ein Grund, schon früh auf Ökowirtschaft umzustellen.
Von der Exotin zum Mainstream
Der zweite Grund ist ihr Sohn Stefan, er wird den Hof im Linachtal in siebter Generation fortführen. Das geht nur als Ökobetrieb sagt er. In den engen Tälern des Schwarzwalds sind dem Wachstum von Höfen Grenzen gesetzt. Es fehlt der Platz, um als konventioneller Landwirt mit der Marktmacht großer Agrarfabriken konkurrieren zu können. Im Tal setzen inzwischen alle Bauern auf Öko – auf einen Wachstumsmarkt, der kleinen Höfen eine Zukunft sichert und damit der Gesellschaft eine gepflegte Kulturlandschaft – auf Martinas 60 Hektar Grünfläche erledigen das Schafe und Rinder.
Trotzdem dauerte es, bis sich diese Logik in den Köpfen festsetzte. Als die Eltern 1999 nach Abschluss der Biozertifizierung die Sektkorken knallen ließen, bekam der Sohn in der Schule zu hören, dass sie Spinner seien und ob sie jetzt nur noch Unkraut züchteten. Die Verbraucher*innen waren schneller beim Umdenken. Schon lange fahren sie durchs Linachtal, holen ihre Eier vom Hof, weil sie die Tiere entweder draußen oder im Winterstall stehen sehen – mit intakten Schnäbeln und einem Platzangebot, doppelt so groß wie es Hennen in der so genannten Bodenhaltung haben. „Die Menschen befassen sich mit dem Produkt, wie es zustande kommt und wie es dem Tier dabei geht“, sagt Martina. Saubere Gewässer, nitratarme Böden, unbelastete Pflanzen – der Wunsch (und auch das Handeln) danach ist so weit in der Mitte der Gesellschaft angekommen, dass Martina in Villingen an Werbung für die Prenzlschwäbin vorbeikommt, die sich mit ihrer „Isch des Bio“-Tournee über das Massenphänomen lustig machen.
Biolandwirtschaft wächst
Die Schulhof-Argumente begegneten Martina aber noch lange in ministeriellen Besprechungsrunden. Als Vorstandsmitglied des Bioland-Verbandes bis 2008 saß sie schon einmal ihrem heutigen Koalitionspartner, Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU), gegenüber. Der fand das, was sie damals erreichen wollte, gut für die paar Hansel, die die Kuhkuschel mitmachten. Aber mit echter Landwirtschaft habe es halt nichts zu tun. Inzwischen hat sich der Wind gedreht.
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Prozent aller Betriebe in Baden-Württemberg wirtschaften ökologisch.Ihr Anteil wächst, nicht zuletzt dank unter Grün eingeführter Förderung wie Unterstützung beim Umstieg oder höheren Zuschüssen für tiergerechten Stallbau. Für die Qualität, die das bringt, sind die Verbraucher*innen bereit, mehr Geld auszugeben – in einem Maße, dass die Nachfrage von den baden-württembergischen Erzeuger*innen derzeit nicht gedeckt werden kann.
Inzwischen ist Martina Vorsitzende des Arbeitskreises Landwirtschaft der grünen Fraktion. Peter Hauk ist wieder Landwirtschaftsminister, auf der Webseite seines Hauses stehen Erklärfilme, die für Bioerzeugnisse aus Baden-Württemberg werben. Öko steht für die Zukunft, daran kommen auch die landwirtschaftlichen Traditionalisten nicht vorbei – die höheren Erlöse, die die Bio-Milch von Martinas Hof erzielt, tun ihr übriges.
Sohn Stefan erzählt, dass in der Meister-Ausbildung von „Cow-Comfort“ die Rede ist, wenn auch meist unter dem Aspekt der Leistungssteigerung. Der größte Erfolg der Ökolandwirtschaft ist wohl, dass die konventionelle Konkurrenz Teile des Konzeptes kopiert. Was sich aber nicht exportieren lässt, ist der Idealismus. Beim Hofrundgang richtet Martina ein am Morgen neugeborenes Kalb auf. Die Mutter durfte 60 Tage vor Geburt vom Melken pausieren. Konventionell hätte man der Kuh eine Antibiotika-Spritze verpasst, um Entzündungen zu verhindern und sie einfach abgestellt. Martina kontrollierte dagegen regelmäßig die Euter. Sich um das Tier auch dann kümmern, wenn es gerade nichts liefert – auch das ist Öko. Kaum zu glauben, warum Iwon überhaupt auf die Idee kam, das Weite zu suchen.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift zum Thema Ökologie: Grüne Blätter 1/2017: Ein Fuchs muss tun, was ein Fuchs tun muss