Was sind Utopien? Und was können wir damit anfangen? Die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Ricarda Lang, beschreibt, worauf es dabei ankommt und macht klar, dass die progressiven Kräfte in die Offensive kommen müssen.
Ricarda Lang über Utopien in Grüne Blätter 2/2018: Gedanken & Spiele
Wir befinden uns am Ende vom Ende der Geschichte. Die Vorstellung, dass sich durch die Ausbreitung des Kapitalismus die Demokratie automatisch überall durchsetzen und die Menschheit immer mehr an Freiheit gewinnen wird, hat mit der Realität wenig zu tun. Wir erleben heute, wie Autokraten an Macht gewinnen und die Idee der universellen Gleichheit und Freiheit aller Menschen in Vergessenheit gerät. Die Stärke der Rechten ist auch ein Zeichen der Schwäche der progressiven Kräfte. Viel zu oft verharren wir in der Defensive und der Verteidigung des Status Quo und verpassen es dabei, die Unzufriedenheit für einen emanzipatorischen Gesellschaftsentwurf zu mobilisieren. Es fehlt an Utopien, die Menschen mitnehmen und begeistern.
Utopien sind ein „Noch-Nicht“
Wer von Utopien spricht, sieht sich häufig dem Vorwurf der Spinnerei konfrontiert. Doch in Anbetracht von Umweltzerstörung, Armut und der Spaltung Europas scheint die Vorstellung, dass wir einfach so weiter machen können wie bisher, um einiges verrückter und realitätsferner als die Hoffnung, dass eine andere Gesellschaft möglich ist. Utopien kanalisieren diese Hoffnung und machen sie zum Ausgangspunkt von politischem Handeln. Sie sind ein „Noch-Nicht“, die Formulierung einer Zukunft, die es zu erschaffen gilt und für die es sich zu kämpfen lohnt. Sie entspringen aus der Erkenntnis, dass die Gesellschaft um uns herum nicht in Stein gemeißelt ist, sondern von Menschen verändert werden kann.
Lasst uns Mehrheiten für unsere Visionen gewinnen
Fortschritt braucht immer auch Menschen, die bereit sind, über das Hier und Jetzt hinauszudenken und die Grenzen des Möglichen zu verschieben. Hätten die Grünen auf diejenigen gehört, die ihnen erzählten, dass ihr Kampf gegen die Atomkraft nicht mehr sei als ein verrücktes Hirngespinst, könnten wir heute vom Atomausstieg nur träumen. Visionen zu formulieren und es sich zur Aufgabe zu machen, gesellschaftliche Mehrheiten für diese zu gewinnen, war immer Teil der grünen DNA und muss es gerade in Zeiten des Stillstands und Rückschritts immer noch sein.
Es geht nicht darum, ein schönes Bild der perfekten Welt ohne Bezug zur Gegenwart zu malen. Stattdessen müssen wir in der konkreten Kritik der bestehenden Verhältnisse aufzeigen, wie eine andere Zukunft aussehen kann. Utopien und Realpolitik sind kein Widerspruch, im Gegenteil entwickeln sie erst im Zusammenspiel ihre Schlagkraft. Wenn wir in die Offensive kommen wollen, müssen wir Menschen in ihrer konkreten Lebensrealität abzuholen und sie für große Visionen begeistern. Der Kampf um die Zukunft ist noch nicht entschieden.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift über grüne Perspektiven: Grüne Blätter 2/2018: Gedanken & Spiele