Wir Grünen haben die Konzepte, das Land neu zu gestalten und den Willen, Baden-Württemberg kraftvoll zu regieren. Und wir wissen, welche drängenden Aufgaben wir als erstes anpacken wollen. Diese haben wir in unserem Grünen Sofortprogramm zusammengefasst: 14 konkrete Vorhaben werden wir in der Landesregierung im Kalenderjahr 2011 angehen.
Dabei werden folgende Leitziele unser Regierungshandeln bestimmen:
- Ökologische und soziale Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft
- Bessere Bildung
- Echte Bürgerbeteiligung
- Nachhaltiges Haushalten
1. AKW-Laufzeitverlängerung vor dem Bundesverfassungsgerichts zu Fall bringen und eine konsequent sicherheitsorientierte Atomaufsicht praktizieren
Baden-Württemberg soll die Chancen der Erneuerbaren Energien nutzen, statt sie im Bundesvergleich aller Länder am längsten mit Atomstrom auszubremsen und weiter Atommüll anzuhäufen. Mit der von uns angestrebten Abwahl der jetzigen CDU/FDP-Landesregierung würde die Zahl der Länder, die eine Laufzeitverlängerung ablehnen, weiter wachsen. Eine grün geführte Landesregierung wird sich der Klage der Länder Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bremen, Brandenburg und Berlin anschließen. Denn der Beschluss von Schwarz-Gelb im Bund, die Laufzeitverlängerung im Atomgesetz ohne Zustimmung des Bundesrats zu verankern, ist nach unserer Einschätzung verfassungswidrig. Diese Auffassung wird selbst durch Rechtsgutachten gestützt, die vom CDU-geführten Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben wurden. Wir sind deshalb zuversichtlich, dass die geplante Laufzeitverlängerung mit einem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts und einer sich daran anschließenden Abstimmung im Bundesrat zu Fall gebracht werden kann. Ungeachtet dessen werden wir dafür Sorge tragen, dass seitens des Umweltministeriums eine konsequent sicherheitsorientierte Atomaufsicht praktiziert wird, die auch die aus der Laufzeitverlängerung resultierenden zusätzlichen Anlagenrisiken (z.B. Auslegung gegen Flugzeugabsturz, Materialbeanspruchung und -versprödung, Austausch veralteter Komponenten und analoger Leittechnik u.a.m.) berücksichtigt. Denn mit Neckarwestheim I und Phillipsburg haben wir zwei der störanfälligsten AKWs im Land.
2. Wir beseitigen die planungsrechtlichen Hürden und schaffen ein positives Klima für den Ausbau der Windenergie
Wir reformieren das Landesplanungsgesetz. Die bisherige Gesetzesvorgabe, dass für die Windkraft nur Ausschluss- und Vorranggebiete geplant werden können, nicht jedoch Vorbehaltsgebiete wie in den meisten anderen Bundesländern, wird geändert. Regionalpläne, in denen ungeeignete Vorranggebiete für Windkraft ausgewiesen sind, sollen nicht mehr zugelassen werden. Zudem wollen wir Anlagenstandorte außerhalb bestehender Vorranggebiete planerisch sichern. Wir werden uns dafür einsetzen, dass Altanlagen möglichst bald durch moderne, leistungsfähigere Windkraftanlagen ersetzt werden können. Um zukünftig an diesen Standorten moderne, leistungsfähige Anlagen installieren zu können, werden wir die vorhandenen Höhenbeschränkungen in den Vorranggebieten aufheben. Rheinland-Pfalz ist der Beleg dafür, dass bei einem konsequenten Ausbau mittelfristig 10 Prozent des landesweiten Strombedarfs durch Windenergie gedeckt werden können.
3. Wirtschaftsfördermittel werden wir auf die zukunftsträchtigen Felder konzentrieren
Wer für die Zukunft Wohlstand verspricht, muss die ökologische Modernisierung der Wirtschaft vorantreiben. Aber die schwarz-gelbe Wirtschaftsförderung ist unstrukturiert und ineffizient. Förder-Euros werden ohne Schwerpunktsetzung in vielen kleinen Häppchen ausgegeben, z. B. für ein Zahnärztehaus oder die jährliche Kalenderschau. Auch europäische Gelder aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) wurden nach dem Gießkannenprinzip verteilt: Von den knapp 75 Mio. Euro, die Baden-Württemberg von 2007 bis 2009 erhalten hat, wurden lediglich 4 Mio. Euro für sogenannte ökologische Maßnahmen genehmigt. Und selbst diese ökologischen Maßnahmen waren im Einzelfall zweifelhaft. Wir werden die Fördergelder stärker auf die Wachstumsfelder der Zukunft fokussieren. Diese sind z. B. Umwelttechnologien und Ressourceneffizienz sowie nachhaltige Mobilität. Auch die energetische Gebäudesanierung kann mit EFRE-Mitteln unterstützt werden. Davon profitieren das Klima, das Handwerk und die MieterInnen. Wir wollen Baden-Württemberg die Wirtschaftspolitik geben, die es verdient: zielgerichtet auf Innovationen in Zukunftsfeldern.
4. Gute Lebensmittel von hier
Wir Grünen werden die Zahl der Lebens- und Futtermittelkontrollen deutlich erhöhen, um zukünftigen Lebensmittelskandalen vorzubeugen. Dafür werden wir zusätzliche Stellen im Bereich der Lebensmittelkontrollen schaffen. Zudem werden wir die Förderung des Bio-Landbaus und die Agrarumweltprogramme (MEKA, LPR) verlässlich bis zum Ende der Agrarförderperiode 2013 fortführen und im Sinne einer zukunftsfähigen und naturverträglichen Landwirtschaft weiter ausbauen.
5. Ausbau der Kinderbetreuung
Damit Eltern mit gutem Gewissen ihrer Arbeit nachgehen können, setzen wir uns für die vollständige Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Platz in einer Betreuungs- und Bildungseinrichtung für Kinder unter drei Jahren (U3) ab 2013 ein. Dafür müssen in den nächsten Jahren erhebliche zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das Land wird sich dabei mit einer Drittelfinanzierung beteiligen.
Wir werden das Landeserziehungsgeld in Höhe von 35 Mio. Euro schrittweise in die U3-Betreuungs- und Bildungseinrichtungen umschichten. Vor allem Kinder aus bildungsfernen Schichten, Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus sozial benachteiligten Familien wollen wir für die Kleinkindbetreuung gewinnen, da sie von einer qualifizierten Förderung, insbesondere von Sprachförderung, in hohem Maße profitieren werden.
Wir werden früh greifende Sprachfördermaßnahmen in die Kinderbetreuung integrieren und im Bildungssystem auf individuelle Förderung setzen. Wir wollen eine in den Alltag integrierte Sprachförderung ab dem ersten Kindergartentag, um auch Kindern mit Migrationshintergrund bzw. aus sozial benachteiligten Familien Chancengleichheit zu bieten, denn Sprache ist der Schlüssel zu einer guten Bildung. Wir werden daher eine Regelfinanzierung des Landes für die Sprachförderung auf den Weg bringen, ErzieherInnen fort- und weiterbilden und gleichzeitig die kostenintensiven, überflüssigen, extern durchgeführten Sprachstandstests abschaffen.
6. Schulentwicklung von unten – neue integrative Schulmodelle genehmigen und befördern
Wir geben Schulen und ihrer Schulgemeinschaft Entwicklungsfreiheit. Die Maxime des Gehörtwerdens von Lehrerschaft und Schulleitung wird mit uns endlich wieder Einzug in die Bildungspolitik erhalten. Wir werden mit einer Novelle des Schulgesetzes den Kommunen mehr Verantwortung für ihre Schulen, für ihre Schulstruktur und für die Neuordnung der Schulstandorte geben und damit eine regionale Bildungsplanung möglich machen. Eine konsequente Evaluation der Schulen durch das Land sorgt für die Vergleichbarkeit der Bildungsleistung an den einzelnen Schulen. Etwa 60 Kommunen in Baden-Württemberg, darunter viele größere Städte, haben bereits Anträge auf Genehmigung von neuen, integrativen Modellschulen gestellt. Sie wollen dabei nicht nur ihre Standorte attraktiver gestalten, sondern auch den Wünschen vieler Eltern nach neuen Schulformen entgegenkommen. Wir unterstützen diese kommunalen Initiativen und werden die Genehmigung der Anträge umgehend prüfen und genehmigen, wenn das Konzept solide ist. Allen Schulen, die sich auf diesen Weg machen, werden wir ein Fortbildungs- und Innovationsbudget zur Unterstützung ihrer Teamentwicklung und für die Erarbeitung neuer Kompetenz- und Lernkonzepte zur Verfügung stellen.
7. Ganztagesschule im Schulgesetz verankern
Wir schaffen gute Ganztagsschulen im ganzen Land. Wir verankern die Ganztagsschule als Regelform im Schulgesetz und ermöglichen dabei gute Qualität und durchdachte pädagogische Konzepte. Den seit über 20 Jahren bestehenden Schulversuchsstatus werden wir damit endlich beenden. Wir fördern einen raschen Ausbau der Ganztagsschulen – das ist ein wichtiger Baustein zur Entkopplung von Bildungserfolg und sozialer Herkunft. Wir gewährleisten, dass Lehrerstunden für Ganztagsschulen mit besonderen pädagogischen und sozialen Aufgabenstellungen nicht reduziert werden, sondern dauerhaft erhalten bleiben. Die bisherige Landesregierung sieht für den Ausbau der Ganztagsschulen 1.850 neue Lehrerstellen vor. Wir werden zusätzlich 1.000 Deputate zur Verfügung stellen.
8. Studieren ohne finanzielle Zugangshürden und mit mehr Mitsprache
Damit mehr junge Menschen ein Studium aufnehmen können, wollen wir die finanziellen Hürden beseitigen, die den Zugang zum Hochschulstudium behindern. Das darf aber nicht auf Kosten guter Studienbedingungen gehen. Deshalb werden wir die Abschaffung der Studiengebühren umgehend auf den Weg bringen und im Gegenzug den Hochschulen die wegfallenden Mittel ersetzen. Zudem wollen wir durchsetzen, dass auch an den Hochschulen des Landes wieder mehr Demokratie gewagt wird. Dafür werden wir die Verfasste Studierendenschaft als legitimierte Vertretung der Studierenden wieder einführen.
9. Nachhaltige Finanzpolitik verankern
Ergänzend zum Rechnungshof werden wir eine Institution nach dem Vorbild des Treasury Boards in Kanada einführen, die vor der Haushaltsaufstellung die Wirtschaftlichkeit der Mittelverwendung und von Förderprogrammen sowie Verwaltungsstrukturen prüft. So wird Mittelverschwendung von vornherein verhindert, damit rückwirkend nicht mehr über sie geklagt werden muss. Die gängige Praxis, dass bestehende Etats im nächsten Haushaltsjahr Jahr ohne Hinterfragung einfach fortgeschrieben werden, wird damit ad acta gelegt. Stattdessen muss jede Ausgabe jedes Jahr neu und vor der Beschlussfassung des Haushalts überprüft werden. Die Erfahrung in Kanada lehrt: So spart man jedes Jahr Millionen.
10. Mehr Gerechtigkeit und weniger Steuerbetrug
Wir stocken die Mittel der Steuerverwaltung auf und setzen auf eine effizientere Steuerprüfung, die Steuerpflichten konsequent durchsetzt, Steuerhinterziehung engagiert bekämpft und Umsatzsteuerbetrug verfolgen kann. Damit schaffen wir mehr Gerechtigkeit, erzielen höhere Einnahmen und verbessern die Leistungsfähigkeit des Staates. Wir werden deshalb die Personalausstattung der Steuerprüfung ab sofort für die nächsten fünf Jahre um jährlich 3 Prozent erhöhen. So könnte das Land ab dem Jahr 2015 mit dauerhaften Mehreinnahmen von fast 400 Mio. Euro rechnen.
11. Starke Kommunen für ein starkes soziales Netz
Wir erhöhen die Grunderwerbsteuer von 3,5 auf 4,5 Prozent und verbessern damit die Finanzausstattung der Kommunen um 200 Mio. Euro jährlich. Denn nur starke Kommunen können ihren BürgerInnen gute Angebote machen. Sei es bei der Kinderbetreuung, in schwierigen sozialen Situationen, aber auch bei allem, was den Alltag lebenswert macht: Schwimmbäder, Bibliotheken, Theater, Bus und Bahn und vieles andere mehr.
12. Perspektiven für SGB II-EmpfängerInnen
Der Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt aus der Langzeitarbeitslosigkeit ist schwierig. Zusätzlich kämpfen viele Menschen mit schwer verständlichen oder gar rechtswidrigen SGB II-Bescheiden. Wir wollen gezielte Unterstützung für Langzeitarbeitslose in ganz Baden-Württemberg sicherstellen und unterstützen mit einem Landesförderprogramm aus Landesmitteln – und wenn möglich ESF-Mitteln – den Aufbau eines flächendeckenden Beratungsangebotes für erwerbslose und insbesondere langzeitarbeitslose Menschen. Für Frauen und insbesondere die vielen Alleinerziehenden im SGB II-Bezug sollen speziell auf ihre Situation zugeschnittene Angebote geschaffen werden. Die Einrichtungen übernehmen eine Lotsenfunktion für die Hilfe suchenden Menschen. Sie motivieren die Arbeitsuchenden, leisten Hilfe zur Selbsthilfe und damit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt bzw. zur Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit. Durch Rechtsberatung und Unterstützung auch gegenüber der Agentur für Arbeit kann der aufwendige Weg vors Sozialgericht vermieden und damit die Zahl der Klagen gesenkt werden.
13. Stärkung der Instrumente direkter Demokratie und mehr Transparenz
Wir verschaffen den BürgerInnen Gehör. Wir werden die Möglichkeiten direkter Demokratie in den Kommunen stärken, indem wir den bislang geltenden Ausschlusskatalog möglicher Abstimmungsfragen abschaffen und dadurch Bürgerbegehren zur kommunalen Bauleitplanung ermöglichen. Die Fristen und Quoren passen wir an das sehr erfolgreiche Modell Bayerns an. Wir ermöglichen Bürgerbegehren und -entscheide auf Landkreisebene. Wir werden eine Verfassungsänderung einbringen, um auf Landesebene Volksbegehren und Volksentscheide zu erleichtern. Dabei geht es uns insbesondere um eine Verlängerung der Fristen, die Möglichkeit, Unterschriften auch außerhalb von Rathäusern sammeln zu können, das Quorum beim Volksbegehren abzusenken und nach bayerischem Vorbild bei der Abstimmung ganz abzuschaffen. Zusätzlich soll die Möglichkeit der Volksinitiative geschaffen werden, um den Landtag zur Beschäftigung mit politischen Anliegen aus der Bürgerschaft zu verpflichten. Wir verpflichten uns, bei umweltbedeutsamen Vorhaben öffentlicher Träger die Planungsprozesse transparent zu gestalten und die Öffentlichkeit frühzeitig in den Planungs- und Zulassungsprozess mit einzubeziehen. Die Ausschusssitzungen des Landtags werden öffentlich.
14. Volksentscheid zu Stuttgart 21
Denn die BürgerInnen sollen in dieser Auseinandersetzung das letzte Wort haben. Eine grün geführte Landesregierung wird jede Möglichkeit nutzen, einen sofortiger Bau- und Vergabestopp zu bewirken. Wir werden eine Bestandsaufnahme zu Stuttgart 21 machen, uns ein Bild über den Stresstest verschaffen, die wahren Kosten und Ausstiegskosten offen legen. Sobald die Ergebnisse des Stresstests als valide eingestuft werden können und wir einen vollständigen Überblick über die Fakten haben, werden wir einen Volksentscheid zu Stuttgart 21 einleiten.