Bei ihrem Ratschlag am 12.12.2016 in Stuttgart diskutierte die Landesarbeitsgemeinschaft Internationales die verschiedensten Facetten des Phänomens Land Grabbing.
Neben dem Immobiliensektor haben Grossbanken und Investment-Fonds seit der Welt-Finanzkrise von 2008 auch den internationalen Agrarsektor als Investitions-Goldgrube entdeckt. Immense Gelder fliessen in Aufkauf oder Pacht von Agrarflächen in Entwicklungs- und Schwellenländern, um Nahrungsmittel und Energiepflanzen anzubauen. Die wichtigsten Zielgebiete sind Afrika und Südostasien, aber auch Lateinamerika und neuerdings Europa. Begründet wird dies damit, zur Ernährungssicherung einer ständig wachsenden Weltbevölkerung beitragen zu wollen. Mittel dazu ist der Einsatz von Gentechnik im Rahmen einer „neuen Grünen Revolution“. Zwangsläufig verbunden ist dies mit einer Industrialisierung der Agrarwirtschaften des Südens im Rahmen einer neuen internationalen Arbeitsteilung.
Handeln die Investoren also aus barmherzigen altruistischen Motiven heraus?
Neben Staatsfonds aus den arabischen Golfstaaten, Indien, Süd-Korea, etc., welche auf gepachteten Flächen für den Eigenbedarf produzieren wollen, spielen anglo-amerikanische Investitions-Fonds und Grossbanken die wichtigste Rolle. Deren Ziel ist: Profitgenerierung durch Anbau von Nahrungsmitteln und Spekulation mit denselben. Hier werden sich Produktions-Menge und Preisgestaltung nach Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt richten. Zu erinnern ist an die Hungeraufstände in Lateinamerika und den arabischen Ländern. Das ärmste Fünftel der urbanen Bevölkerungen des Südens, hier auch die Kleinbauern, die durch Agrarinvestoren von ihrem Land vertrieben wurden, wird sich auch zukünftig Nahrungsmittel zu durch Spekulation zustandegekommenen Weltmarktpreisen nicht leisten können. Hinzukommen weitere Problemstellungen:
- Konkurrenz zwischen Nahrungsmittel- und Energiepflanzen-Produktion auf zunehmend knapperen Flächen
- Klimawandel, Urbanisierung und Bodenerosion verschärfen Knappheitsprozesse
- Land Grabbing verschärft weltweit die Flüchtlings-Problematik
Laut Dr. Jochen von Bernstorff, Professor für Staatsrecht, Völkerrecht, Verfassungslehre und Ökosysteme an der Universität Tübingen, sorgt ein internationales Netz von Investoren-Schutzverträgen für ein Ungleichgewicht zwischen Investoren und Kleinbauern. Hinzu kommt, dass die Kleinbauern eine zu schwache internationale Lobby haben und häufig mangels Eigentumsnachweis relativ problemlos von ihrem bewirtschafteten Land vertrieben werden können. Pacht- und Kaufverträge werden zwischen Investor und Staat abgeschlossen. Politische Interventionen der Staaten nach Vertragsabschluss zugunsten der eigenen Bevölkerung bewirken also, dass Staaten auf Schadensersatz vor internationalen Schiedsgerichten verklagt werden können.
Carolin Callenius, vom Forschungszentrum für Globale Ernährungssicherheit und Ökosysteme an der Universität Hohenheim beleuchtete die Rolle der Zivilgesellschaft beim Schutz von Landrechten:
Die Welternährungsorganisation FAO hat 2012 Richtlinien erlassen, die das Recht von Kleinbauern auf ihr bewirtschaftetes Land stärken sollen. Bei Agrar-Investitionen im Sinne der „Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure“ sollten die allgemein verbindlichen Menschenrechte berücksichtigt werden. Leider sind die „FAO-Guidelines“ rechtlich noch unverbindlich. Auch in den Sustainable Development Goals (SDG) sind die Landrechte von Kleinbauern mehrfach erwähnt. Auf dem Weltsozialforum in Tunis 2015 wurde nochmals das Recht indigener Bevölkerungen auf ungehinderten Zugang zu Wasser, Saatgut und Land als politische Forderung erhoben.
Laut der Grünen Europaabgeordneten Maria Heubuch spielt die auf den Weltmarkt ausgerichtete EU-Agrarpolitik beim Thema Land Grabbing in Entwicklungs- und Schwellenländern eine unrühmliche Rolle. Die Massenproduktion der EU überflutet die Märkte der Entwicklungsländer und untergräbt, zusätzlich zum Phänomen Land Grabbing, die Bemühungen der kleinbäuerlichen und indigenen Gemeinschaften hinsichtlich einer konkurrenzfähigen Nahrungsmittel-Produktion
Agrarinvestoren und die – häufig korrupten – Eliten in den Zielländern von Land Grabbing gehen eine Interessenkoalition ein. Verlierer sind dabei die von ihrem Land vertriebenen Kleinbauern, die nach ihrer traditionellen Lebensweise nicht mehr existieren können. Diese flüchten in die urbanen Zentren ihrer Länder und und tragen zur weltweiten Flüchtlingsproblematik bei.
Zu fordern ist:
- Förderung von „Good Governance“ und zivilen Bürgerrechten vor allem in den wichtigsten Zielländern von Land Grabbing
- Starke Reduzierung der EU-Agrarsubventionen für Grossbetriebe, stattdessen weltweite Förderung von hochqualitativer, kleinteiliger Agrarwirtschaft auch unter ökologischen Gesichtspunkten
- Anstreben einer Rechtsverbindlichkeit der FAO-Richtlinien (auch wenn dies das Bohren dicker Bretter bedeutet)
- Förderung des Fair-Trade-Gedankens: Nachprüfbare Zertifizierungen von Nahrungsmitteln
- Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA stellen in dieser Thematik einen Rückschritt dar. Die Länder des Südens werden dabei ausgeschlossen. Von daher:
- Wiederaufnahme des GATT-Prozesses mit dem Ziel eines fairen, globalen Welthandels