Foto: Winfried Kretschmann

Aus Erfahrung Grün

„Wir müssen nicht hinten beginnen, bei den Regierungsformen und politischen Methoden, sondern wir müssen vorn anfangen, beim Bau der Persönlichkeit, wenn wir wieder Männer und Geister haben wollen, die uns Zukunft verbürgen.“

 

Hermann Hesse, 1919

Geflüchtet in die neue Heimat

„Wir hausten als arme Flüchtlinge in wenig komfortablen Unterkünften – bis mein Vater dann die erste Lehrerstelle bekam.“

Winfried Kretschmann wurde am 17. Mai 1948 in Spaichingen geboren. Die katholische Familie wurde aus dem größtenteils protestantischen Ostpreußen vertrieben. Ein älterer Bruder war als Säugling auf der Flucht gestorben.

 

 

Foto: Winfried Kretschmann als Knabe auf einer Wiese

Zuhause hochdeutsch, ausserhalb schwäbisch

Kretschmann weiß also aus persönlicher Erfahrung, um die Schwierigkeiten, aber auch Chancen, die Flucht und Integration bedeuten. „Die Sprache ist etwas ganz Wichtiges in einem Integrationsprozess, und ich war das erste Kind in der Familie, das schwäbisch gesprochen hat: zuhause hochdeutsch, außerhalb schwäbisch.“ So wurde das Flüchtlingskind zum Schwaben durch und durch: von der Fasnet, über den Schützenverein bis hin zur Begeisterung für den VfB. Nur an einem merkt man, dass er nicht von Schwaben abstammt: „Ich bin kein Nassesser. Ich brauche nicht zu allem Soße. Ich lasse sie sogar oft weg.“

Glauben und Zweifeln

„Als Kind wollte ich Pfarrer werden“, berichtet er. Vom Dorf auf der Schwäbischen Alb ging es dann aufs Gymnasium in Oberschwaben. Die Zeit im streng katholischen Internat prägte ihn sehr: „Alles war verboten. Man durfte noch nicht mal am Sonntag die Stadt besuchen. Unerlaubter Wirtshausbesuch wurde mit der Drohung geahndet, aus dem Internat zu fliegen.“ Als er es nicht mehr aushielt, verließ Kretschmann das Internat nach der zehnten Klasse. Trotz dieser Erfahrung ist Kretschmann heute gläubiger Katholik: „Glaube ist etwas Existenzielles. Da ich aber zu den Glaubenszweiflern gehöre, ist es auch immer etwas, was mich umtreibt.“

„Glaube ist nicht etwas, was ich habe, sondern das ich mir immer wieder erringen muss.“

Foto: Portrait von Winfried Kretschmann als junger Mann

„Der Sinn von Politik ist Freiheit.“

Nach dem Abitur leistete Winfried Kretschmann seinen Grundwehrdienst ab und studierte anschließend an der Universität Hohenheim Biologie und Chemie für das Lehramt an Gymnasien. In dieser Zeit engagierte er sich in linksradikalen K-Gruppen. „Ein fundamentaler politischer Irrtum“, wie Kretschmann sagt. „Das geht mir bis heute nach: Wie kommt es, dass man als gebildeter Mensch auf einmal in so einer Sekte landet? Dass man die Welt nur noch durch einen Tunnelblick sehen kann?“ Seine Frau Gerlinde und die Bücher von Hannah Arendt halfen ihm, aus diesem totalitären Denken herauszukommen: „Meine politische Grundorientierung ist von Hannah Arendts politischer Philosophie stark durchdrungen.“

„Weil die Menschen verschieden sind, ist die Geburt eines jeden Menschen so etwas wie ein kleiner Neubeginn der Welt.

Er kann auf Ideen kommen, die noch nie jemand vor ihm hatte, und zusammen mit anderen handeln und somit die Welt verändern und gestalten.“

Den Gedanken freien Lauf lassen

Winfried Kretschmann heiratet 1975 seine Frau Gerlinde. Sie bekommen drei Kinder. Nach dem zweiten Staatsexamen 1977 unterrichtete er als Lehrer. Als er 1979 die baden-württembergischen Grünen mitgründete, tat er das „aus Liebe zur Natur, einer empathischen Liebe zur Natur“. Und noch heute geht Kretschmann, wann immer es sein Terminkalender zulässt, mit seiner Frau raus in die Natur wandern. „Man bekommt dabei alles geboten: den weiten Blick vom Gipfel wie auch das Detail, die Pflanzen am Wegesrand, die Insekten und anderes Getier. Beides zusammen ergibt ein gelungenes Naturerlebnis“, so Kretschmann. Er mag beim Wandern besonders, „dass man den Gedanken nachhängt und sie immer wieder verliert in der Landschaft, das ist eine entspannte, im besten Sinne des Wortes nutzlose, eine spielerische Form des Denkens.“

Der bunte Kaktus

1980 zogen die Grünen in Baden-Württemberg zum ersten Mal in einem Flächenland in den Landtag ein. Winfried Kretschmann war einer der sechs grünen Parlamentsneulinge.

Die bunte Truppe brachte frischen Wind in das Hohe Haus: Dem frischgewählten Ministerpräsidenten Lothar Späth überreichten die grünen Parlamentarier als Geschenk einen Kaktus. „Stachelig wollten wir sein. Ein Stachel im Fleisch des etablierten Politikbetriebs“, meint Kretschmann rückblickend. Er selbst kennt die berühmte Szene aber auch nur aus der Zeitung, denn er war bei der Vereidigung nicht im Parlament, sondern bei der Platzbesetzung in Gorleben. „Der Landtag war für uns damals nur das „Spielbein“, nicht ganz so wichtig wie unser „Standbein“ - die außerparlamentarischen Bewegungen.“

„Die harten Oppositionsbänke...

Erste „Regierungserfahrung“ sammelte Kretschmann als der damalige hessische Umweltminister Joschka Fischer ihn 1986 als Grundsatzreferent ins erste grüne Umweltministerium holte. "Eine tiefe und harte Erfahrung", so Kretschmann.

Gleichzeitig habe er Erkenntnisse erworben, die ihm heute hundertfach von Nutzen seien. Kretschmann habe die großen Linien entwerfen wollen, erinnert sich Fischer, "während ich mir Gedanken machte: Wie überlebe ich den nächsten Tag?". Nach eineinhalb Jahren in Wiesbaden, kehrte Kretschmann 1988 in den baden-württembergischen Landtag zurück, dem er seither mit einer Unterbrechung angehört – von 2002 bis 2011 als Fraktionsvorsitzender.

... sind gut zum Denken.“

Kretschmann entwickelte die Grünen zur „Premiumopposition“, die Konzepte vorlegte und ihre Ideen durchrechnete. Sein Credo damals „Opposition ist Regierung im Wartestand.“

Foto: Winfried Kretschmann mit altem Hut
Foto: Winfried Kretschmann mit neuem Hut

Endlich am Ziel - und weiter unterwegs

Wo, wenn nicht in der Politik, sollen Wunder geschehen? Dieses Zitat von Hannah Arendt, Winfried Kretschmanns Lieblingsphilosophin, wurde am 27. März 2011 eindrücklich bestätigt. Die Bürgerinnen und Bürger schickten die CDU bei der Landtagswahl nach fast 60 Jahren an der Macht in die Opposition. Strahlende Sieger waren die Grünen und ihr Spitzenkandidat Winfried Kretschmann: „Jetzt haben wir die historische Wende in diesem Land erreicht", freute sich Kretschmann am Wahlabend. Nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen mit der SPD war der Machtwechsel wenige Wochen später perfekt: Der Landtag wählte Winfried Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland. Der Wechsel hat begonnen – und geht heute noch weiter.

Die Politik des Gehörtwerdens

Die grün-geführte Landesregierung mit Winfried Kretschmann an der Spitze macht nicht nur eine neue Politik, sie macht auch anders Politik: Eine Politik des Gehörtwerdens statt Regieren von oben herab. Mehr Dialog und Bürgerbeteiligung. „Nicht dort, wo sich Menschen einmischen ist die Demokratie bedroht, sondern dort, wo sie sich abwenden von den öffentlichen Angelegenheiten“, betont Kretschmann. Die Politik des Gehörtwerdens sei zwar nicht immer der einfache Weg, aber der richtige, so Kretschmann.

Wirtschaft und Ökologie zusammen bringen

„Dass ich die Wirtschaft verstehe, das bilde ich mir schon ein“, sagt Winfried Kretschmann. Baden-Württemberg ist heute die innovativste Region Europas. In seiner Zeit als Ministerpräsident sind über 750.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden. Das ist natürlich zuallererst ein Verdienst der Unternehmen und ihrer Beschäftigten. Aber auch die grün-geführte Landesregierung hat offensichtlich viel richtig gemacht. Allen voran Winfried Kretschmann. „Wir müssen Wachstum vom Naturverbrauch entkoppeln. Dabei ist die Wirtschaft unser natürlicher Verbündeter“, so Kretschmann. „Nur sie kann grüne Ideen umsetzen, Autos sauberer, Maschinen ressourceneffizienter. Wir sind weltweit am besten in der Lage, Umweltschutz und Technologie zu kombinieren und zu exportieren.“

Foto: Winfried Kretschmann beim Schweißkurs

Dem Land verpflichtet

Nach zehn Jahren grün geführter Regierung ist das Land auf dem richtigen Weg: Baden-Württemberg steht trotz der Corona-Krise so gut da wie selten zuvor. Wir haben gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern viel erreicht für unser Land. Vor allem aber haben wir noch viel vor. Denn große Aufgaben liegen vor uns: Das Klima und unsere Natur schützen. Den Strukturwandel der Wirtschaft meistern, um unseren Wohlstand zu sichern. Und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stärken.

Foto: Winfried Kretschmann sitzt auf einem Stuhl