Auf Druck der Bundesländer und vor allem von Winfried Kretschmann hat die Bundesregierung die Atomausstiegspläne deutlich verschärft. Was sehen die Pläne jetzt vor und wie bewertest Du das?
Die ursprünglichen Ausstiegspläne der schwarz-gelben Bundesregierung waren völlig unzureichend. Deshalb ist es wichtig und erfreulich, dass die Bundesländer diese Pläne deutlich in eine grüne Richtung korrigiert haben. Hier war der Einsatz von Winfried Kretschmann bei der Ministerpräsidentenkonferenz sehr wichtig.
Die Pläne sehen jetzt die sofortige Stilllegung der sieben ältesten AKWs plus dem Schrottreaktor Krümmel vor. Darunter fallen auch die beiden baden-württembergischen Atomkraftwerke Philippsburg I und Neckarwestheim I. Außerdem sieht der Kompromiss des Ministerpräsidenten einen Stufenplan vor – das heißt die noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke werden schrittweise bis 2022 abgeschaltet. Jedem einzelnen Meiler wird nun ein konkretes Ausstiegsdatum zugeordnet. Das gibt Planungssicherheit für den Ausbau der erneuerbaren Energien und für Investitionen in eine zukunftsfähige Energieversorgung. Das ist ein großer grüner Erfolg, war doch die Bundesregierung bis letzten Freitag gerade zu einem solchen schrittweisen Abschalten nicht bereit. Außerdem wurde eine bundesweite ergebnisoffene Endlagersuche nach wissenschaftlichen Kriterien vereinbart. Damit haben wir Grünen uns in einer absoluten Kernfrage durchgesetzt. Eine weitere Vorfestlegung auf einen möglichen Endlagerstandort Gorleben wird es mit uns nicht geben.
Zu einem Ausstieg aus der Atomkraft gehört aber auch ein konsequenter Einstieg in die Erneuerbaren. Und hier – vor allem bei der Förderung der Windkraft – hatten wir einen erheblichen Dissens mit der Bundesregierung. Auch an dieser Stelle trägt die Vereinbarung der Länder nun eine Grüne Handschrift, wird es doch zu keiner Benachteiligung der On-shore- gegenüber der Off-shore-Windkraft kommen. Das ist gerade für Baden-Württemberg als Binnenland von enormer Bedeutung – gibt es doch bei uns viele ungenutzte Potenziale bei der Windkarft.
Der jahrezehntelange Kampf von uns Grünen und der Anti-Atom-Bewegung für einen Ausstieg aus der Atomkraft hat sich gelohnt. Es ist unser Erfolg und der der Anti-AKW-Bewegung, dass jetzt auch die schwarz-gelbe Regierung auf eine Energiewende einschwenken muss. Merkel und Co., die erst vor wenigen Monaten Laufzeitverlängerungen beschlossen hatten, müssen sich dem Willen der Bürger nach einem Ende der Atomkraft beugen.
Ist auf Basis dieser Pläne ein breiter gesellschaftlicher Konsens möglich, dem auch die Grünen zustimmen können?
Die jetzt vorliegenden Pläne könnten Grundlage für einen breiten gesellschaftlichen Konsens sein, sie sind aber alles andere als energiepolitisch sexy. Wir Grüne werden nun in den nächsten Wochen das Kleingedruckte in den Gesetzestexten sorgfältig prüfen und dann genau abwägen, ob wir dem zustimmen können. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es noch eine Menge Fragezeichen.
Wir Grünen halten nach wie vor einen Atomausstieg bis 2017 für möglich, machbar und wünschenswert, wir sehen aber auch die historische Chance, jetzt in einem breiten gesellschaftlichen Konsens den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft einzuleiten. Uns geht es dabei nicht vorrangig um eine bestimmte Jahreszahl, sondern um das Gesamtpaket. Wir Grünen werden auf unserem außerordentlichen Bundesparteitag am 25. Juni in Berlin das Angebot der Bundesregierung diskutieren und dann verantwortungsvoll entscheiden. Klar ist: Eine grüne Zustimmung wird es nur für einen echten Ausstieg aus der Atomkraft und nicht für einen faulen Kompromiss geben. Ich persönlich erhoffe mir, dass es im politischen Prozess der nächsten Wochen noch möglich wird, den Atomausstieg im Grundgesetz zu verankern. Damit würde der Ausstieg absolut unumkehrbar, genau das verlangen die Menschen von uns nach Fukushima.
Einige Kommentatoren meinen, dass die Grünen mit dem Atomausstieg ihr Kernthema verlieren? Hast Du Angst davor oder ist das Quatsch?
Ich finde diese Frage geht völlig an der Sache vorbei. Wir Grünen haben uns inhaltlich durchgesetzt. Die Atomparteien CDU und FDP haben sich auf uns zubewegt. Wir Grünen kämpfen seit über 30 Jahren dafür, dass das Kapitel Atomkraft ein Ende findet – und wir freuen uns, wenn das möglichst bald der Fall ist. In Europa und weltweit hat der Kampf gegen die Atomkraft erst begonnen, hier fällt uns Grünen eine entscheidene Rolle auch in Zukunft zu.
Angesichts solch riesiger Herausforderungen wie dem Klimawandel, aber auch anderer wichtiger Zukunftsfragen etwa in der Bildungs-, Sozial- oder Demokratiepolitik wird uns die Arbeit sicher nicht ausgehen. So wollen wir in Baden-Württemberg an der Regierung zeigen, wie wir einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort, soziale Gerechtigkeit und einekonsequente Klimaschutzpoltik verbinden können. Oder wie wir mehr Bürgerbeteiligung und Demokratie möglich machen können. Oder wie wir dafür sorgen können, dass alle Kinder die beste Bildung erhalten. Es gibt also viel zu tun – uns wird sicher nicht langweilig werden. Denn wir wollen auch in anderen Fragen gesellschaftliche Mehrheiten erringen, genauso wie uns das beim Atomausstieg gelungen ist.