Seit mehr als einem Jahrhundert feiern wir den Internationalen Frauentag. Ein Gespräch mit der Grünen-Landesvorsitzenden Sandra Detzer über einen Welttag, der für die Grünen-Chefin nichts von seiner Aktualität verloren hat.
Sandra, du bist 36 Jahre alt, promovierte Politikwissenschaftlerin und seit November 2016 Parteichefin der Südwest-Grünen. Gerade von jungen, gut ausgebildeten Frauen hört man inzwischen häufig, der Internationale Frauentag sei überholt. Motto: Den brauchen wir nicht mehr, ist doch alles erreicht. Was sagst du diesen jungen Frauen?
Ich freue mich zunächst einmal über dieses Selbstbewusstsein! Und natürlich müssen wir heute nicht mehr um das Frauen-Wahlrecht kämpfen oder darum, studieren oder berufstätig sein zu dürfen. Frauen sind heute besser ausgebildet denn je, im Schnitt sogar besser als junge Männer. Jetzt kommt das große „Aber“: Berufstätige Frauen in Deutschland tragen nach wie vor so wenig zum Haushaltseinkommen bei wie in keinem anderen OECD-Land. Erst vor wenigen Tagen hat das eine OECD-Studie bestätigt. Führungspositionen werden überwiegend von Männern besetzt, Top-Positionen fast ausschließlich. Frauen verdienen bei gleicher Qualifikation immer noch weniger; von den erwerbstätigen Müttern verdient Hälfte ihr Geld in Teilzeit. Und mir ist es wichtig, dass wir unseren Blick auch über den eigenen Tellerrand hinaus richten: Wir reden über häusliche Gewalt, Menschenhandel oder Armutsprostitution. Wir reden über Zwangsheirat, Vergewaltigung und Genital-Verstümmelungen. Also: Bei allen Fortschritten – der Internationale Frauentag ist und bleibt aktuell. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Und wir wollen an diesem Tag unsere Solidarität und unser Verbundenheit mit allen Frauen auf dieser Welt zeigen.
Frauenrechte, Selbstbestimmung und eine geschlechtergerechte Gesellschaft – das sind ur-grüne Themen. Grüne wollen wirtschaftliche Unabhängigkeit schaffen und vielfältige Lebens- und Arbeitsmodelle ermöglichen. Was kann Landespolitik hier eigentlich ganz konkret und praktisch tun?
Das fängt damit an, dass wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Lange war Baden-Württemberg Schlusslicht, aber unter der grün-geführten Landesregierung haben wir die Kleinkindbetreuung um 50 Prozent ausgebaut. Jetzt geht es konsequent weiter mit dem Ausbau der Ganztagesschule. Wir haben mit dem „Chancengleichstellungsgesetz“ 2016 die Gleichstellung im öffentlichen Dienst gestärkt: Hier setzen wir uns ein für die paritätische Gremienbesetzung, für Quotenregelungen und starke Gleichstellungsbeauftragte. Mit den „Kontaktstellen Frau und Beruf“ fördern wir Frauen unter anderem beim Wiedereinstieg in den Beruf. Wir bringen wir die Gleichstellung in Hochschulen voran, etwa mit der 40-Prozent-Frauenquote für Hochschulräte und dem Stimmrecht der Gleichstellungsbeauftragten in Berufungskommissionen. Wir werden den Frauenanteil in den Leitungspositionen der Wissenschaft weiter erhöhen. Und auch im außenpolitischen Bereich haben wir als Land Gestaltungsmöglichkeiten: So hat Baden-Württemberg ein Sonderkontingent von Frauen und Mädchen aus dem Nordirak und Syrien aufgenommen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden und dadurch schwer traumatisiert sind.
Stichwort Quote: Auch die Doppelspitze der Grünen wird immer mal wieder in Frage gestellt. Deine Meinung dazu?
Die Quotierung und die Doppelspitze gehören zur Grünen Partei und sind ein Erfolgsschlager. Sie brechen nachweislich männlich dominierte Strukturen auf. In keiner anderen Partei gibt es mehr Frauen in verantwortlicher Position. In keiner anderen Partei engagieren sich mehr Frauen und gestalten Politik – sei es im Gemeinderat, Kreistag, Landtag oder im Bundestag. Um das mal am Landtag konkret festzumachen: Hier ist Baden-Württemberg mit einem Frauenanteil von 24,5 Prozent das Schlusslicht unter den Länderparlamenten. Ohne uns Grüne sähe das noch viel trauriger aus. Von unseren grünen Abgeordneten sind 47 Prozent weiblich. Der Frauenanteil bei der CDU liegt bei 17 Prozent, SPD, FDP und AfD bringen es gerade mal auf zehn Prozent oder weniger. Alle freiwilligen Maßnahmen, mehr Frauen ins Parlament zu bringen, haben bisher nichts gefruchtet. Deshalb drängen wir Grüne seit Jahren auf eine Modernisierung des Landtagswahlrecht und haben dies auch im grün-schwarzen Koalitionsvertrag durchgesetzt. Das wird auch in dieser Legislatur umgesetzt – da geben wir Grüne nicht nach.