Krisen sind Umbruchszeiten, aber sind sie auch eine Chance für einen Neustart von Wirtschaft und Gesellschaft? Ja, unbedingt, sagt der „tanzende Ökonom“ Christian Felber. Der österreichische Buchautor ist Politikwissenschaftler und Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie. Er fordert ein radikales Umdenken in der Bewertung unseres Wohlstands und Lebensstandards und eine Abkehr vom Wachstumsbegriff.
Das Gespräch führte Caroline Blarr für Grüne Blätter 1/2020: Aus der Krise wachsen Chancen
Sie sagen: Die Corona-Pandemie ist eine Chance, Wirtschaft und Gesellschaft umzubauen, fairer und ökologischer zu gestalten. Woher nehmen Sie diesen Optimismus?
Christian Felber: Die Fridays-for-Future-Bewegung ist doch ein starkes Signal. Oder nehmen Sie das Biodiversitäts-Volksbegehren in Bayern: 87 Prozent der CSU-Wähler haben das unterstützt. Ich bin überzeugt: Unsere Gesellschaft wird insgesamt nachdenklicher und sensibler.
Und was ist mit den institutionellen Beharrungskräften?
Christian Felber: Internationale Studien zeigen, dass die Menschen zunehmend am Bruttoinlandsprodukt als zentrales Messinstrument unseres Wohlstands zweifeln. Warum fragen wir die Bevölkerung nicht einfach direkt – zum Beispiel über Bürgerräte oder -konvente: Welche Kriterien können den eindimensionalen Wachstumsbegriff ablösen? Die 20 meistunterstützten Ideen ergeben dann ein demokratisch definiertes Gemeinwohlprodukt, an dem sich politische und wirtschaftspolitische Entscheidungen in der Zukunft orientieren.
Der Erfolg von Unternehmen soll dann nicht mehr allein am Finanzgewinn gemessen werden, sondern daran, was diese für das Gemeinwohl beitragen… wie lässt sich das darstellen?
Christian Felber: Das Grundgesetz sagt: Eigentum verpflichtet. Die bayerische Verfassung geht noch weiter. Da heißt es wörtlich: Alle wirtschaftlichen Tätigkeit dient dem Gemeinwohl. Da ist also eine verfassungsrechtliche Vorgabe. Die aktuelle Gemeinwohl-Bilanz, die bereits von 700 Unternehmen, Gemeinden und Bildungseinrichtungen erstellt wurde, orientiert sich an den demokratischen Grund- und Verfassungswerten – von der Menschenwürde bis zur Nachhaltigkeit. Später könnte die Gemeinwohlbilanz direkt vom demokratisch komponierten Gemeinwohlprodukt abgeleitet werden. Alle Unternehmen, auch Banken und Börsen, müssten darlegen, wie sich ihre Aktivitäten und Investitionen auf das Gemeinwohlprodukt auswirken.
Kann das ein normales mittelständisches Unternehmen leisten?
Christian Felber: Schon heute ist jedes Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, eine Finanzbilanz anzulegen. Das hinterfragt niemand. Die große Lücke ist, dass diese Transparenzpflicht nicht in gleicher Weise für nicht-finanzielle Messgrößen gilt. Wir blenden einfach aus, wie sich wirtschaftliche Entscheidungen auf den sozialen Zusammenhalt, die Ökosysteme oder das Geschlechterverhältnis auswirken –obwohl sich diese Art von Informationen auf unsere demokratischen Grundwerte und -rechte beziehen.
Das lässt sich aber nicht von heute auf morgen umsetzen…
Christian Felber: Die ersten 500 Unternehmen haben es schon umgesetzt! In einer Übergangsphase kann man Gemeinwohlbilanzen auf freiwilliger Basis fördern. Als Anreiz könnten Unternehmen, die da vorangehen, weniger Steuern zahlen oder in der Wirtschaftsförderung und bei öffentlichen Ausschreibungen bevorzugt werden. So hätte man jetzt bei den Coronahilfen einen sanften Steuerungsdruck einbauen und entsprechend engagierte Unternehmen stärker mit Zuschüssen unterstützen können.
Sie fordern nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in unserer Wirtschaftsordnung: Die Ökonomie müsse sich am ökologischen Gleichgewicht ausrichten. Da braucht es ja noch mehr als eine Gemeinwohlbilanz in Unternehmen…
Christian Felber: Absolut. Ich sehe drei zentrale Bausteine: Erstens müssen wir den ÖPNV deutlich ambitionierter ausbauen und die Siedlungsstrukturen verdichten, um echte Alternativen für den motorisierten Individualverkehr zu schaffen. Zweitens brauchen wir eine höhere CO2-Bepreisung von mindestens 100 Euro pro Tonne in Kombination mit flexiblen CO2-Zöllen, um Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Und mein dritter und wichtigster Punkt: Wir sollten ein individuelles CO2-Verbrauchsrecht als ökologisches Menschenrecht für jedes Individuum einführen. Das würde Märkte zu radikaler Effizienz treiben. Zudem könnten nicht lebensnotwendige Überschüsse zu einem handelbaren Kontingent werden. Dieses könnten ärmere Menschen mit mangelnder finanzieller Kaufkraft an vermögende Personen mit knapper ökologischer Kaufkraft verkaufen: eine Win-win-Situation.
Wie wollen Sie für diese Ideen Mehrheiten erreichen in einer Welt, die gleichzeitig starke nationalistische Tendenzen hervorbringt?
Christian Felber Indem wir uns daran erinnern, dass wir die erste und zweite Generation der Menschenrechte auch mühsam, aber am Ende eben erfolgreich durchgesetzt haben. Und ich fordere ja nichts Revolutionäres: Nach den politischen und sozialen Menschenrechten sind ökologische Menschenrechte doch nur der nächste logische Schritt!
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift zum Thema Corona und die Folgen: Grüne Blätter 1/2020: Aus der Krise wachsen Chancen