Weiße Nationalisten, christliche Fundamentalisten, Verschwörungstheoretiker und islamistische Dschihadisten: Julia Ebner hat es geschafft, in Netzwerke einzudringen, die lieber unter sich bleiben. Über ihre Erkenntnisse und Erlebnisse hat die Extremismusforscherin ein lesenswertes Buch geschrieben.
Von Dr. Günter Renz für Grüne Blätter 4/2019: Mutbürger statt Wutbürger
Zwei Jahre unter Nazis: Julia Ebner ist im Dienst der Wissenschaft dort hingegangen, wo sich sonst keine Demokratin freiwillig aufhalten würde. Die 28-Jährige forscht am Institute for Strategic Dialogue in London zu Extremismus und Radikalisierung. In einer zweijährigen Undercover-Recherche hat sie die Funktionsweise extremistischer Gruppierungen analysiert. Sie hat sich verschiedene Identitäten zugelegt und infiltriete extremistische Foren und Gruppen – online wie offline. Mitunter waren die sozialen Medien Türöffner, etwa für Treffen mit Funktionären der Identitären Bewegung, die die angebliche Sympathisantin noch tiefer einschleusten. Ihr Buch Radikalisierungsmaschinen (Suhrkamp 2019) ist in einem journalistischen Reportagestil gehalten und wirkt zunächst wie eine anekdotische Aneinanderreihung. Durch die Fülle von Begegnungen und die Anreicherung mit gut belegten Hintergrundinformationen gewinnt die Darstellung jedoch schnell an Konsistenz und Erkenntniswert. Ihr Buch gliedert sich wie die Phasen der Radikalisierung: von der Rekrutierung und Sozialisierung kommt sie zur Kommunikation und Vernetzung in den Gruppen, um schließlich die Mobilisierung und Angriffsformen zu beleuchten.
Bemerkenswert arbeitet sie die Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen extremistischen Bewegungen heraus. Alle nutzen sie sehr professionell die digitalen Medien und zielen vor allem auf abgehängte junge Männer, die sich ihr Selbstwertgefühl durch die Teilhabe an einer größeren Bewegung stärken. Zur geschickten Anwerbung und Motivierung gehören Beratung und Coaching für die verschiedensten Lebensbereiche, aber auch Gamifizierung: Es gibt Medaillen, Bestenlisten, Statusstufen etc.
Der Attentäter von Christchurch inszenierte seine Morde als Videospiel mit Belohnungen in einem Livestream, der 1,5 Millionen Mal geteilt wurde. Zu ihren alltäglichen Aktivitäten zählt das „Trollen“, konzertierte Aktionen, um Unruhe zu stiften oder gezielt Falschinformationen zu verbreiten. Weiter noch geht das „Doxen“, also die Veröffentlichung persönlicher Daten wie Adresse und Telefonnummer. Die Folgen „reichen von unerwünschten Abonnements über Drohanrufe bis hin zu gefakten Anthrax-Sendungen und persönlichen Besuchen zuhause.“ Durch die konzertierten Aktionen mit vielen oft falschen Accounts kann eine relativ kleine Gruppe von Personen vermeintliche Trends setzen oder durch Hatestorms massive Verunsicherung auslösen. Was ist zu tun? Julia Ebner plädiert für eine Ausweitung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, um auch kleinere Netzwerke zum Löschen von Terrorpropaganda und HatespeechInhalte innerhalb von 24 Stunden zu verpflichten. Auch Deradikalisierungsprogramme erscheinen ihr teilweise erfolgversprechend. Es braucht „robustere Koalitionen zwischen FaktenCheckern und Social-Media-Aktivisten“. Zudem nennt sie Initiativen wie HateAid und #ichbinhier, die sich Hass und Extremismus entgegenstellen.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift zum Thema Rechtsradikalismus: Grüne Blätter 4/2019: Mutbürger statt Wutbürger