Der Ton in öffentlichen Debatten wird rauer. Andersdenkende werden als „Volksverräter“ beschimpft. Äußerungen, die man früher allenfalls am Stammtisch gehört hat, werden fast schon selbstverständlich auf Facebook gepostet. Diese Verrohung der Diskussionskultur muss uns zu denken geben.
Winfried Kretschmann über Streit in Grüne Blätter 2/2018: Gedanken & Spiele
Nimmt der Streit im öffentlichen Raum überhand? Nein, wir brauchen nicht weniger Streit – und schon gar keine Harmonie-Soße. Was wir aber dringend brauchen, ist eine andere Art, Konflikte auszutragen.
Konflikte sind in einer Demokratie nicht nur unvermeidlich, sondern notwendig und gut. So heißt es schon in der berühmten Leichenrede des Perikles: Bei uns ist ein stiller Bürger kein guter Bürger. Nur in der Debatte über die Welt und wie wir in ihr leben wollen, kann ein gemeinsames Bild von unserer Gesellschaft entstehen. Ich bin daher überzeugt: Zivilisierter Streit hält die Gesellschaft zusammen, unzivilisierter Streit treibt sie auseinander. Zivilisiert ist politischer Streit dann, wenn er unsere demokratische Verfassungsordnung beachtet, wenn er mit Respekt geführt wird und auf Fakten basiert.
Dinge anders zu sehen ist kein Defizit, sondern macht das Zusammenleben in der demokratischen Gesellschaft erst aus. Deshalb müssen wir respektvoll und fair mit der Vielfalt der Menschen, der Meinungen und der Lebensstile umgehen – in der Politik, aber auch auf der Straße, auf den Schulhöfen und genauso in der digitalen Welt.
Es gilt Gräben zu vermeiden, die unweigerlich entstehen, wenn man andere beschimpft oder in eine Ecke stellt. Wer den Zuzug von Asylbewerbern begrenzen möchte, ist deshalb noch kein Nazi. Und wer weiterhin Flüchtlinge aufnehmen will, kein Volksverräter. Wer solches will, ist nicht zwangsläufig böse, ist nicht zwangsläufig dumm oder naiv. Sondern vielleicht einfach nur anderer Meinung.
Anleitung zum zivilisierten Streit
Wie also miteinander reden? Wir müssen Abstand halten von Verrohung und Verbalradikalismus einerseits und einer überspannten politischen Korrektheit andererseits. Eine Kommunikation also, die Tabubrüche klar als solche benennt, und uns gleichzeitig mit „robuster Zivilität“ (Timothy Garton Ash) vieles aushalten lässt, was uns darüber hinaus gegen den Strich gehen mag.
Und wir müssen so reden, dass die Leute uns verstehen. Das gilt gerade für uns Politikerinnen und Politiker. Denn im Nicht-Verstehen entsteht schon die erste Entfremdung zwischen „die da oben – wir da unten“.
Es gibt ein Recht auf eigene Meinung, nicht aber auf eigene Fakten
Außerdem gilt es, die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen. Denn es gibt nur ein Recht auf eigene Meinung, nicht aber auf eigene Fakten. Das Verdrehen von Tatsachen ist das Feld der Demagogen. Nur indem wir selbst redlich argumentieren und glaubwürdig handeln, können wir dagegen Dämme errichten.
Wenn es gelingt, diese Prinzipien zur Richtschnur zu machen, dann wird klar: Der Streit ist die Würze der Demokratie, und unsere Gesellschaft wird am zivilisierten Streit wachsen und gedeihen.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift über grüne Perspektiven: Grüne Blätter 2/2018: Gedanken & Spiele