Noch 100 Tage bis zur Landtagswahl. Die Zeit ist reif für eine bessere Schulpolitik. Wir erklären, warum Schwarz-Gelb abgewählt gehört.
Ungerechtes Bildungssystem
Die Bildungspolitik der Landesregierung besteht aus Flickwerk und der Abwehr neuer Modelle. In keinem anderen Bundesland hängt der Bildungserfolg so sehr von der sozialen Herkunft ab, wie in Baden-Württemberg.
Das gegliederte Schulsystem, an dem die Landesregierung eisern festhält, ist fest im Gestern verhaftet. Es wird unseren Kindern und Jugendlichen und den Bedürfnissen vor Ort schon lang nicht mehr gerecht. Der demografische Wandel, die veränderten Übergänge in die Sekundarstufe, aber auch pädagogische Erkenntnisse sprechen eine deutliche Sprache. Schule muss sich diesen einschneidenden Veränderungen anpassen. Viele Eltern, Lehrkräfte und Kommunen haben Konzepte entwickelt, um entlang der Bildungsstandards die Schulen innovativ, attraktiv und zukunftsfähig zu gestalten. Aber die Landesregierung lehnt neue Wege und Konzepte kategorisch ab, lässt keine Schulentwicklung von unten zu, verordnet stattdessen von oben herab.
Bildungsbeteiligung und -erfolg hängen in Baden-Württemberg viel zu stark von der sozialen Herkunft eines Kindes ab. Im IQB-Schul-Ländervergleich von 2010 war Baden-Württemberg das Bundesland, in dem Arbeiterkinder bei gleicher Leistung die bundesweit schlechtesten Chancen hatten, auf ein allgemeinbildendes Gymnasium zu kommen. Außerdem ist der Übergang von deutschen und ausländischen Kindern auf weiterführende Schularten im Land spiegelverkehrt: Die Hälfte der Kinder mit Migrationshintergrund – immerhin ein Drittel der jungen Menschen im Südwesten – geht auf die Hauptschule, nur ein Viertel aufs Gymnasium; bei den deutschen Kindern ist das umgekehrt. Und dennoch: Alle unsere Anträge für mehr individuelle Förderung, Chancengerechtigkeit sowie die gezielte Förderung von Migranten hat die Landesregierung abgelehnt. Zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit muss in Baden-Württemberg ein umfassendes und qualitativ hochwertiges Konzept zur Sprachförderung ab dem ersten Kita-Jahr eingeführt werden.
Massiver Unterrichtsausfall
Die Landesregierung schafft keine verlässliche Unterrichtsversorgung. Im Schuljahr 2009/2010 sind in Baden-Württemberg 1,6 Millionen Schulstunden ausgefallen. Schon im Januar dieses Jahres waren die Krankheitsvertretungsmittel bis zum Ende des Schuljahres bereits erschöpft. Die Folge: Das Kultusministerium genehmigte keine Krankheitsvertretungsverträge mehr, obwohl Ersatzlehrer bereits gefunden waren und Einstellungszusagen erhalten hatten. Der Unterrichtsausfall ist vor allem an den Beruflichen Schulen und den Sonderschulen chronisch: Dort sind bereits riesige Bugwellen von 1.500 Deputaten aufgelaufen. Wir haben Anträge zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung und zum Abbau des strukturellen Unterrichtsdefizits an Sonderschulen und Beruflichen Schulen gestellt – erfolglos. Das Problem ist nach wie vor ungelöst.
Die Werkrealschule ist eine Mogelpackung
Die Werkrealschule ist eine Mogelpackung. Zum einen beschleunigt sie das Schulsterben, anstatt es aufzuhalten. Bereits 84 Hauptschulen standen dieses Jahr im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Werkrealschule vor dem Aus; und neu eingerichtete Werkrealschulen konnten die geforderte Zweizügigkeit nur mit Mühe halten. Die Werkrealschule Berkheim wäre sogar beinah schon wieder geschlossen worden. Zum anderen hat die Werkrealschule keine Akzeptanz bei den Eltern und eröffnet den Schülerinnen und Schülern keine besseren Perspektiven. Zudem gibt es in der Werkrealschule als einziger Schulart eine Notenhürde nach der 9. Klasse. Wir haben Anträge zur Abmilderung der Schwächen dieses unausgegorenen pädagogischen Konzepts und Anträge mit unseren Ideen einer innovativen Schulgestaltung (von unten) eingebracht – sie wurden alle von der schwarz-gelben Mehrheit abgelehnt.
Turbogymnasium auf dem Rücken unserer Kinder
Das G 8 wurde von der Landesregierung genauso von oben zwangsverordnet und übergestülpt wie die neue Werkrealschule. Der psychische Druck und die zeitliche Belastung der Kinder auf dem Turbogymnasium sind immens. Viele Vereine beklagen, dass die Kinder und Jugendlichen sich aus durch das G 8 bedingten Zeitmangel abmelden. Dennoch ist die Landesregierung nicht bereit, den Korrekturwünschen der Eltern am G8 entgegenzukommen. Sie hat unsere Verbesserungsvorschläge wie die Möglichkeit eines parallelen G 9-Zugs mit Entschleunigung in der Unter- und Mittelstufe abgelehnt.
Berufliche Gymnasien: Viel mehr Bewerber als Plätze
Der kürzlich verkündete Ausbau von zusätzlichen Klassen in beruflichen Gymnasien ist zwar begrüßenswert. Es ist aber überhaupt nicht zu erkennen, wie dieser Ausbau ohne zusätzliche Ressourcen in den beruflichen Schulen bewältigt werden kann. Denn bei einem Unterrichtsdefizit von 4,6 Prozent könnten sich die Beruflichen Schulen die notwendigen Lehrerstunden für die zusätzlichen beruflichen Gymnasien nicht aus den Rippen schneiden. Außerdem fehlt der längst überfällige und von uns geforderte Rechtsanspruch auf einen Schulplatz im beruflichen Gymnasium, ohne den viel zu viele BewerberInnen abgewiesen werden, obwohl sie den erforderlichen Notendurchschnitt mitbringen.
Ganztagesschule: das Land hinkt hinterher
Die Ganztagsschule leistet einen wichtigen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Es gibt seit etwa 40 Jahren Ganztagsschulen im Land, inzwischen über 1.000. Doch sie haben weiterhin nur Schulversuchsstatus – anders als in allen anderen Bundesländern. Die Landesregierung hinkt zudem ihren selbstgesteckten Zielen beim Ausbau der Ganztagsschulen massiv hinterher: Bis 2016 will sie 40 Prozent der Schulen zu Ganztagsschulen ausbauen. Doch je nach Schulart hängt der Ausbau zwischen 10 Prozent und 25 Prozent fest. Die Ressourcen für die Ganztagsschule sind viel zu knapp bemessen: So bekommen Gymnasien gerade mal eine Stunde zusätzlich. Wir Grünen fordern in einem aktuellen Gesetzentwurf die Verankerung der Ganztagsschule im Schulgesetz als Basis für einen sowohl finanziell als auch pädagogisch nachhaltigen Ausbau der Ganztagsschulen in Baden-Württemberg.
Fazit: Reformfreudigkeit sieht anders aus.
Während eine Regeleinrichtung wie die Ganztagsschule auf dem Status des Schulversuchs verharren muss, werden Schulversuche abgeblockt, wo sie notwendig wären: bei den integrativen Schulmodellen, die von Eltern, Schulen und Kommunen an der Basis entwickelt und beantragt wurden.
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