Der Streit um Stuttgart 21 eskaliert. Befürworter und Gegner des Mammut-Projekts stehen sich zusehends unversöhnlich gegenüber. In dieser Situation hat BT-Redakteur Albert Noll mit Silke Krebs, Landesvorsitzende der baden-württembergischen Grünen, gesprochen. Mit unverhältnismäßiger Gewalt und Brutalität sei die Räumung des Stuttgarter Schlossparks durchgesetzt worden, kritisiert Krebs.
BT: Frau Krebs, wie haben Sie die letzten beiden Tage in der Landeshauptstadt erlebt?
Silke Krebs: Das war einfach erschreckend. Es war klar, dass es eine Zuspitzung gibt, wenn mit dem Baumfällen begonnen wird. Aber dass die Landesregierung es nicht schafft, die Räumaktion zumindest zu stoppen, als klar war, dass da tausende Schüler im Park sind, das hat mich schon erschreckt. Die Wasserwerfer und der Reizgaseinsatz – das geschah nicht zur Verteidigung der Polizisten. Ich hätte nicht gedacht, dass die Räumung des Parks mit dieser Gewalt und dieser Brutalität durchgesetzt wird. Das ist ein völlig unverhältnismäßiges Handeln, das absolut nicht hinnehmbar ist.
BT: Wie konnte es zu dieser Eskalation kommen?
Krebs: Das ist eine bewusste Eskalation, für die Mappus die alleinige Verantwortung trägt. Der Ministerpräsident hat schon in der vergangenen Woche gesagt, er nehme den Fehdehandschuh auf. Auch dieser Einsatz gegen eine Schüler-Demonstration – alles spricht für eine Eskalationsstrategie.
BT: Sie haben als Schülerin in Mutlangen gegen Mittelstreckenraketen demonstriert. Was war damals anders?
Krebs: Ich war in Mutlangen erst gegen Ende dabei. Auch damals gab es heftige Auseinandersetzungen. Auch damals ist der Protest weit in die Bevölkerung gegangen, es waren nicht nur irgendwelche Randgruppen. Die Lesart des Staates war aber, das seien nur Berufsdemonstranten oder linksradikale Gruppen. Das hat die Leute sehr erbost, und dasselbe erleben wir jetzt in Stuttgart.
BT: Bei der öffentlichen Darstellung von „Stuttgart 21“ ist in den vergangenen Jahren einiges schiefgelaufen. Müssen sich da nicht auch die Grünen Versäumnisse vorwerfen lassen?
Krebs: Nein, das glaube ich nicht. Wir können einen Stapel von Anträgen vorlegen sowohl im Landtag als auch im Bundestag, wo wir Offenlegung der Verträge, Offenlegung der Zahlen verlangt haben, auch im Bahnaufsichtsrat. Und immer wieder sind wir abgespeist worden. Und auch jetzt noch werden Verträge und Gutachten nicht offengelegt. Wir haben uns immer bemüht, Fakten auf den Tisch zu bringen und sind damit gescheitert. Ich glaube aber im übrigen nicht, dass es nur an der fehlerhaften Kommunikation liegt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieses Projekt dem Bahnverkehr im Land schadet, dass es gerade für den Fernverkehr eine Katastrophe wird, Umsteigezeiten von zwei bis drei Minuten heißen „Anschluss verpasst“, und das lässt sich auch mit noch so guter Kommunikation nicht vom Tisch reden.
BT: Welchen Weg sehen Sie aus dem Schlamassel, der da entstanden ist?
Krebs: Der erste Schritt wäre, einen Bau- und zunächst einen Baumfällstopp zu machen und Gespräche zu führen, um zumindest mal für die Bevölkerung Klarheit zu schaffen: Wie hoch sind die Kosten des Projekts, wie hoch wären die Kosten des Ausstiegs? Dann hätte man zumindest mal eine Grundlage für Gespräche. Im Moment glaubt ja keine Seite der anderen auch nur irgend etwas. Es spitzt sich zu, es ist allerhöchste Zeit für eine Phase der Ruhe und der Klärung.
BT: Was erwarten Sie vom Wochenende?
Krebs: Wir werden alles dafür tun, dass es auf Seiten der Demonstranten ein friedliches Wochenende bleibt, aber auch ein Wochenende, an dem klar wird, dass sich der Widerstand gegen „Stuttgart 21“ nicht einfach wegprügeln lässt. Das hat sich auch am Donnerstag gezeigt: Von den Demonstranten ging keine Aggression aus, lediglich ziviler Ungehorsam, die standen meist still und haben das Tränengas abgekriegt. Für uns zählt ziviler Ungehorsam auch zu den friedlichen Mitteln in einer Demonstration.
BT: Ihnen als Freiburgerin muss der Ausbau der Rheintalbahn besonders am Herzen liegen. Wie sehen Sie die Zusammenhänge zwischen „Stuttgart 21“ und diesem Projekt?
Krebs: Die Zusammenhänge sind offenkundig. Die Bahn hat pro Jahr Investitionsmittel von einer Milliarde zur Verfügung. Und es ist völlig klar, dass damit beide Projekte in Baden-Württemberg nicht zu bedienen sind. Die Rheintalbahn ist die Güterverkehrsachse, es gibt einen Staatsvertrag mit der Schweiz und eine berechtigtes Interesse der Bürger an einem lärm- und umweltschonenden Ausbau, und gleichzeitig tritt die Bahn in Vorleistung für eine Güterbahntrasse auf der Neubaustrecke, deren Nutzen ziemlich in Frage steht, weil sie nur für leichte Güterzüge gedacht ist, die nur in begrenztem Umfang fahren. Die Rheintalbahn wird darunter leiden. Und das kann eigentlich nicht sein, weil auch von der Kosten-Nutzen-Analyse her die Rheintalbahn die deutlich wichtigere Strecke ist.
BT: Im bevorstehenden Landtagswahlkampf wird es vermutlich mit „Stuttgart 21“ nur ein großes Thema geben. Bedauern Sie diese eingeengte Perspektive?
Krebs: Wir werden keinen Ein-Thema-Wahlkampf führen. Wir werden alle wichtigen Landesthemen ansprechen. Wir werden großes Gewicht auf das Thema Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg legen, was sicher auch mit „Stuttgart 21“ zusammenhängt, wobei auch der Umgang mit dem Protest sicher ein Thema sein muss. Wir werden aber auch das Thema Bildungspolitik anpacken, das gerade für den ländlichen Raum wichtig ist und wir werden uns für eine ökologische Modernisierung des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg stark machen.
BT: Werden grüne Landespolitiker im kommenden Jahr auf der Regierungsbank Platz nehmen? Wie ist Ihre Haltung in der Frage möglicher Koalitionen?
Krebs: Wir haben da die sehr klare Entscheidung getroffen, eigenständig in die Wahl zu gehen, das ist inzwischen auch grüner Standard vor Wahlen. Die Umfragewerte zeigen ja auch, dass wir eine eigenständige Kraft in diesem Parteiensystem sind.
BT: Über Koalitionen wollen Sie nicht reden?
Krebs: Wir schließen von Vornherein keine Koalition aus. Maßstab ist, dass wir unsere Kernaliegen durchsetzen. Das sind der Ausstieg aus der Atomenergie, der Neuanfang in der Bildungspolitik, eine vernünftige Verkehrspolitik und eine bessere Bürgerbeteiligung an der Politik. Es ist sicher nicht überraschend zu sagen, dass sich die CDU in all diesen Fragen im Moment weit von uns entfernt.
BT: Wie sieht’s mit der SPD aus?
Krebs: Die SPD ist uns in diesen Fragen deutlich näher. Aber wenn es um Verhandlungen geht, schenkt niemand dem anderen etwas. Wir werden hart verhandeln und für die Grünen und die Menschen das Beste rausholen, das ist unsere Richtschnur.
Quelle: Badisches Tagblatt