Der Landesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg hat am 15. November 2021 gemäß dem Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz vom 8. Mai 2021 bei der zuständigen Kreisschiedskommission Tübingen ein Parteiordnungsverfahren gegen Boris Palmer beantragt. Der 33-seitige Antrag wurde der Kreisschiedskommission und dem Rechtsanwalt von Boris Palmer vorab per E-Mail zugestellt. Die Hoheit über das Verfahren und damit auch über dessen Ablauf und Zeitrahmen liegt ab sofort bei der zuständigen Kreisschiedskommission Tübingen.
Statement der Grünen-Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand:
„Durch seine seit Jahren auftretenden Provokationen hat Boris Palmer vorsätzlich und erheblich gegen die Grundsätze sowie die Ordnung unserer Partei verstoßen. Es geht hierbei nicht um Einzelfälle. Wir haben es mit einer jahrelangen Vorgeschichte und einer langen Liste von kalkulierten Ausrutschern und inszenierten Tabubrüchen zu tun. Boris Palmer nutzt vor allem die Themen der Einwanderungs-, Flüchtlings-, und Menschenrechtspolitik dazu, sich Äußerung um Äußerung weiter von der Linie unserer Partei zu entfernen. Er hat unserer Partei mit seinen populistischen und destruktiven Äußerungen schweren Schaden zugefügt. Für jemanden, der mit Rassismus kokettiert und Ressentiments schürt, ist bei uns kein Platz. Durch sein Verhalten und sein politisches Agieren hat Boris Palmer bei Bündnis 90/Die Grünen keine politische Heimat mehr.“
Bündnis 90/Die Grünen setzt sich für eine freie, offene und vielfältige Gesellschaft ein. Die inklusive Gesellschaft ist Grundsatz und Leitbild grüner Politik: Im Mittelpunkt steht der Mensch mit seiner Würde und seiner Freiheit. Boris Palmer trägt durch seine Äußerungen und Aktionen zu einer Spaltung der Gesellschaft und zur Brutalisierung der öffentlichen Debatte bei. Durch seine Äußerungen gegenüber der Presse und in den sozialen Medien nährt er den Eindruck in der Öffentlichkeit, dass wesentliche Positionen von Bündnis 90/Die Grünen zur Disposition stünden und die Partei in wesentlichen Grundsatzfragen – etwa bei der Frage der Menschenrechte – uneinig sei. Er überschreitet taktisch immer wieder die Grenzen des Sagbaren, um selbst davon medial und politisch zu profitieren.
Diese Äußerungen verschaffen Boris Palmer Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit auf Kosten der Partei. Die Mitglieder und insbesondere die Funktionsträger*innen von Bündnis 90/Die Grünen sind in der Folge zu Erläuterungen gezwungen, müssen erklären, richtigstellen und das von ihm beschädigte Bild der Partei intern wie extern wieder geraderücken. So werden die politischen Kräfte der Partei regelmäßig und auf allen politischen Ebenen gebunden.
Schnell dreht sich die öffentliche Debatte nach Äußerungen von Boris Palmer um die Frage nach der Vereinbarkeit seiner Positionen mit einer Parteimitgliedschaft bei Bündnis 90/Die Grünen. Das zeigt deutlich, dass Boris Palmer das Abweichen von den Grundwerten von Bündnis 90/Die Grünen zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Am vorsätzlichen Handeln von Boris Palmer kann hierbei im Hinblick auf seine politische Erfahrung und den jahrelangen Zeitraum der Entgleisungen kein Zweifel bestehen.
Die Liste an Entgleisungen in den vergangenen Jahren ist lang: Sie umfasst beispielsweise die Forderungen nach Abschiebung von Flüchtlingen in Kriegsgebiete wie Afghanistan und Syrien während der Flüchtlingskrise 2015, die Forderung nach der notfalls bewaffneten Schließung von EU-Grenzen 2015 und die Befeuerung von Ressentiments gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerber*innen, etwa als er behauptete, man dürfe von Asylbewerber*innen ein gesetzestreueres Verhalten erwarten als von Deutschen. Die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen ist Teil der grundlegenden Programmatik von Bündnis 90/Die Grünen. Boris Palmer stellte diese Bereitschaft als ursächlich oder zumindest mitursächlich für den Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union und das Erstarken der AfD in Deutschland dar. Er äußerte sich zudem mehrfach ablehnend zum Adoptionsrecht für homosexuelle Paare, schuf den zynischen Begriff des „Menschenrechtsfundamentalismus“ und fiel durch öffentliche Anfeindungen gegen Menschen mit Migrationshintergrund und Asylbewerber*innen in Ulm und Tübingen auf. Er nutze wiederholt rassistische Begriffe in unterschiedlichen Kontexten, beispielsweise in seiner Social-Media-Kommunikation. Auch während der Corona-Pandemie meldete sich Boris Palmer mit hoch umstrittenen Äußerungen zu Wort. Exemplarisch und besonders schwerwiegend ist hier seine Kritik an Corona-Maßnahmen im Mai 2020: Mit seiner auf wirtschaftlichen Überlegungen basierenden Kritik am sogenannten „Lockdown“, mit welchem hauptsächlich Menschen gerettet würden, die aufgrund ihres hohen Alters oder aufgrund von Vorerkrankungen ohnedies bald stürben, steht Boris Palmer weit außerhalb des programmatischen Rahmens von Bündnis 90/Die Grünen und wohl auch außerhalb des Grundgesetzes.
Diese Beispiele sind ein Auszug aus der Vielzahl von Vorfällen. Sie zeigen, dass Boris Palmers Äußerungen oft darauf beruhen, dass Menschen ausgegrenzt oder Menschengruppen gegeneinander ausgespielt werden. Damit richtet er sich seit Jahren wiederholt und beständig gegen die politischen Grundwerte und programmatischen Grundsätze von Bündnis 90/Die Grünen.
Hintergrundinformationen:
Die Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg hatte am 8. Mai 2021 beschlossen, ein Parteiordnungsverfahren gegen Boris Palmer einzuleiten. Der Landesvorstand wurde mit der Führung des Verfahrens beauftragt. Bereits am 8. Mai 2020 hatte der Landesvorstand gemeinsam mit dem Bundesvorstand, dem Kreisvorstand Tübingen und dem Stadtvorstand Tübingen Boris Palmer in einem Beschluss die Unterstützung bei der Kandidatur um politische Ämter entzogen, ihn zum Parteiaustritt aufgefordert und sich ein Parteiordnungsverfahren vorbehalten.