2011 wählen die Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger den Wechsel und schreiben Geschichte: Winfried Kretschmann wird der erste grüne Ministerpräsident. Zu unserem 40. Geburtstag spricht er mit uns darüber, was grünes Regieren auszeichnet und was er seiner Partei wünscht.
Ein Interview mit Winfried Kretschmann für Grüne Blätter 3/2019: Mit Zukunft haben wir Erfahrung
Was ging in dir vor, als am Abend der Landtagswahl 2011 klar wurde, dass der nächste Ministerpräsident Winfried Kretschmann heißen würde?
Das war schon ein kleines Gefühlchaos. Natürlich war ich glücklich. Wenn du über drei Jahrzehnte auf den harten Oppositionsbänken gesessen hast, dann geht da schon ein politischer Traum in Erfüllung. Endlich kannst du gestalten und deine Ideen und Konzepte auch tatsächlich umsetzen. Gleichzeitig habe ich aber auch die Verantwortung gespürt, die da auf mich und auf uns Grüne als führende Regierungspartei zukommt.
Damals hat so mancher geunkt: Unter einem grünen Ministerpräsidenten würden Unternehmen nach Bayern auswandern…
Ja, solche Befürchtungen habe ich schon lange nicht mehr gehört. (lacht) Die nackten Zahlen sprechen ja auch eine klare Sprache: In unserer Regierungszeit sind über eine halbe Million neue Arbeitsplätze entstanden. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit über einem Vierteljahrhundert nicht mehr, und BadenWürttemberg ist die innovationstärkste Region Europas. Wir treiben die Digitalisierung so entschlossen voran wie keine andere Landesregierung und als erster Ministerpräsident habe ich einen Strategiedialog zur Zeitenwende beim Automobil aufgesetzt. Denn ich möchte, dass das emissionsfreie Auto der Zukunft in Baden-Württemberg vom Band rollt. Wir Grünen haben hier im Land also wirklich bewiesen, dass wir auch Wirtschaft können.
Acht Jahre grün-geführte Landesregierung. Haben die Grünen das Land verändert?
Ich glaube schon, dass wir in den letzten acht Jahren einiges bewegt haben – im Großen wie im Kleinen. Ich nenne einfach mal ein paar ganz konkrete Dinge. Heute haben wir zum Beispiel über 60 Prozent mehr Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren als 2010. Und nirgendwo sonst in Deutschland ist der Betreuungsschlüssel so gut wie in wie bei uns. Es gibt im Land inzwischen über 300 Gemeinschaftsschulen, die richtig gute Arbeit machen. Oder der neue BW-Tarif – da kannst du mit einem einzigen Ticket mit Bus und Bahn durchs ganze Land fahren und sparst im Schnitt 25 Prozent gegenüber vorher. Heute wird dreimal so viel Strom aus Windkraft erzeugt wie 2010, und wir sind Spitzenreiter bei der Energieeffizienz. Am wichtigsten war aber vielleicht, dass wir die Fenster weit geöffnet und ordentlich durchgelüftet haben. Mit unserer Politik des Gehörtwerdens haben wir für einen neuen Politikstil im Land gesorgt.
Bei allen Fortschritten und Erfolgen, gibt es aber es keinen Grund, die Hände zufrieden in den Schoß zu legen. Baden-Württemberg hat gewaltige Aufgaben vor der Brust. Und wir haben noch richtig viel vor.
Welches Projekt deiner bisherigen Regierungszeit liegt dir besonders am Herzen?
Ich bin ja von Haus aus Biologie-Lehrer. Und es war die Liebe zur Natur, aus der heraus ich die Grünen mitbegründet habe. Deshalb hat mein Herz gelacht, als wir den Nationalpark im Nordschwarzwald geschaffen haben: 10.000 Hektar wilde Natur, die sich frei und ungestört entwickeln kann. Das fasziniert mich und ist ein echter Gewinn für unser Land.
Hat das Regieren die baden-württembergischen Grünen verändert?
Parteien sind ja keine statischen Gebilde. Genauso wie sich die Gesellschaft laufend wandelt, entwickelt sich auch eine Partei immer weiter. Das gilt auch für uns baden-württembergische Grüne – umso mehr als wir gerade richtig stark wachsen und inzwischen über 12.700 Mitglieder haben, was mich wirklich riesig freut. Aber im Kern sind wir uns doch treu geblieben. Wir sind heute die Orientierungspartei im Land. Wenn es um Lösungen für die drängenden Fragen geht, schauen die Menschen auf uns. Denn wir haben einen klaren Wertekompass, aber wir handeln pragmatisch. Wir übernehmen Verantwortung – auch da, wo es wehtut. Und wir versuchen möglichst viele Leute und Gruppen einzubeziehen, machen unsere Politik mit der Gesellschaft und nicht gegen sie. Das macht uns aus. Das Kunststück besteht darin, eine klare Haltung zu haben und gleichzeitig vielen Menschen eine Stimme zu geben. Damit sind wir baden-württembergischen Grünen ein bisschen die Blaupause für das, was Annalena Baerbock und Robert Habeck gerade im Bund machen. Nämlich die grüne Partei für die breite Gesellschaft öffnen.
Du hast vorhin gesagt: Wir haben noch richtig viel vor. Worin siehst du die Aufgabe der Grünen im Land in den kommenden Jahren?
Die Welt ist im Umbruch – und auch wir in Baden-Württemberg erleben tiefe Veränderungen. Viele Menschen sind deshalb verunsichert und besorgt. Unser Job als führende Regierungspartei ist deshalb eine doppelte: Zum einen müssen wir die großen Aufgaben mutig anpacken und den Wandel aktiv mitgestalten. Das heißt zuvorderst: das Klima schützen, den Wirtschaftsstandort fit für die Zukunft machen und den Zusammenhalt stärken. Zum anderen geht es darum, die Menschen mitzunehmen, ihnen Zuversicht und Orientierung im Wandel zu vermitteln. Und wenn wir das ordentlich hinkriegen wollen, dann sind wir die nächsten Dekade unserer Parteigeschichte ganz gut beschäftigt.
Was wünschst du den baden- württembergischen Grünen zum 40. Geburtstag?
Zum 30. Geburtstag habe ich meiner Partei gewünscht, dass sie sich niemals an die Opposition gewöhnt. Zum Vierzigsten wünsche ich uns Grünen, dass wir noch lange regieren, uns daran aber niemals gewöhnen. Denn sonst verliert man die Demut, die es braucht, um der Verantwortung wirklich gerecht zu werden.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift zu unserem 40. Geburtstag: Grüne Blätter 3/2019: Mit Zukunft haben wir Erfahrung