In vielen baden-württembergischen Kommunen steht derzeit die Neuvergabe der Konzessionsverträge für die örtlichen Stromnetze an. Die Kommunen vergeben in der Regel die Konzession zum Betrieb des örtlichen Verteilernetzes an ein Energieversorgungsunternehmen und erhalten dafür Konzessionsabgaben.
Zwischen 2008 und 2012 laufen die meisten Konzessionsverträge im Land aus. Die Kommunen müssen entscheiden, welcher Energieversorger die nächsten 20 Jahre ihr örtliches Stromnetz betreiben darf. Damit stehen die Kommunen im Land vor einer neuen Herausforderung und einer neuen Chance: Zum ersten Mal müssen die Kommunen diese Entscheidung unter den Rahmenbedingungen des liberalisierten Strommarktes und dem damit einhergegangenen Konzentrationsprozess bei den Energieversorgern treffen.
Gleichzeitig besteht die Chance, vor Ort die Weichen für eine Energieerzeugung und -versorgung zu stellen, die einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leistet. Damit wir das internationale Ziel, die CO2-Emissionen bis 2050 um 80% gegenüber 1990 zu senken, auch tatsächlich erreichen können, brauchen wir verstärkt dezentrale Lösungen. Den notwendigen Effizienzsprung bei der Energieerzeugung werden wir nur dann erreichen, wenn es gelingt mittels Kraft-Wärme-Kopplung Strom und Wärme gemeinsam und das möglichst verbrauchernah zu erzeugen. Nur auf diesem Weg kann es auch gelingen, das im Bereich der Erneuerbaren Energien vorhandene Potenzial optimal zu erschließen.
Der Grüne Muster-Konzessionsvertrag ist dazu ein wichtiger Baustein.
Dominanz der EnBW bei örtlichen Netzen
Bisher ist ein Großteil der örtlichen Stromnetze fest in der Hand der EnBW: Die meisten Stromverteilnetze werden von ihr gehalten und betrieben, oft auch indirekt über Beteiligungen. Die Dominanz der EnBW bei den örtlichen Netzen hat massive Folgen für die Kommunen und die Energiepolitik vor Ort:
- Energiepolitischer Stillstand: Wer das örtliche Stromverteilnetz betreibt, hat großen Einfluss auf die Energiepolitik vor Ort: Die EnBW setzt als großer Erzeuger und Teil des deutschen Oligopols auf zentrale Stromerzeugung durch große Atom- und Kohle-Blöcke. Dezentrale Formen der Energieversorgung, erneuerbare Energien und effiziente Technologien wie Kraft-Wärme-Kopplung haben so kaum eine Chance.
- Schwache Stellung der Kommunen: Bisher fanden die Interessen der Kommunen im Vertragsverhältnis mit der EnBW nicht gleichberechtigt Niederschlag – im Gegenteil. So sind z.B. in den letzten Jahren die Konzessionseinnahmen der Kommunen massiv gesunken, da die EnBW „Tarifkunden“ in „Sondervertragskunden“ umwandelte. Die Folge: Während die Gewinne der EnBW stiegen, gingen die Konzessionsabgaben an die Kommunen deutlich zurück. Die großen Energieversorger sind also nicht die finanziellen Garanten für die Kommunen, sondern nutzen diese finanziell rigoros aus.
EnBW versucht ihre Vormachtstellung zu zementieren
Die EnBW zieht bereits mit ihrem neuen Muster-Konzessionsvertrag durch die Hinterzimmer der Rathäuser. Sie versucht so – meist bevor das Thema bei den Gemeinderäten oder der Öffentlichkeit ankommt – Mitbewerber um den Netzbetrieb zu verdrängen und die eigene energiepolitische Vormachtstellung im Land auf weitere 20 Jahre zu sichern. Der Mustervertrag der EnBW geht zu Lasten der Kommunen. Wünsche der Kommunen oder des Gemeinderats nach Vertrags-Ergänzungen werden von der EnBW beharrlich ignoriert.
Auch wenn die kommunalen Spitzenverbände an der Entwicklung des Muster-Konzessionsvertrags der EnBW beteiligt waren, spiegelt dieser die Interessen der Kommunen nur sehr unzureichend wider. Der Geburtsfehler des Muster-Konzessionsvertrags bestand im fehlenden Wettbewerb bei der Aushandlung: Die EnBW als einziger Energieversorger am Verhandlungstisch hatte keinen Grund, große Zugeständnisse an den Gemeindetag und den Städtetag zu machen.
Die EnBW strebt derzeit mit strategisch ausgewählten baden-württembergischen Gemeinden vorzeitige Abschlüsse der örtlichen Strom-Konzessionsverträge an, obwohl die aktuellen Verträge eigentlich noch einige Jahre Vertragslaufzeit hätten. Die EnBW versucht auf diese Weise das Feld für das Gros der späteren Abschlüsse zu bereiten. Die ersten neuen Konzessionsverträge wurden bereits abgeschlossen.
Wettbewerb als Chance für die Kommunen bei der Neuvergabe der Konzessionsverträge
Bei der Neuvergabe der Konzessionsverträge bietet ein Wettbewerb von mehreren Energieversorgungsunternehmen um den Betrieb des jeweiligen örtlichen Stromnetzes Chancen für die Kommunen. Mehr Wettbewerb schafft mehr Chancengleichheit unter den Energieversorgern. Dies betrifft vor allem die Stadtwerke aus dem Umkreis der jeweiligen Orte. Damit könnten Konzessionswechsel von der EnBW hin zu Stadtwerken – wie bespielweise der der Stadtwerke Tübingen für die Orte Ammerbuch, Waldenbuch und Dettenhausen im Jahr 2007 – in Zukunft häufiger vorkommen.
Mehr Wettbewerb stärkt die Kommunen auch in ihrem energiepolitischen Gestaltungsspielraum. Sie haben erstmals die Möglichkeit, ihre eigenen Interessen gegenüber der EnBW oder einem anderen Energieversorger durchzusetzen. Denn die Kommunen halten mit der ureigenen, hoheitlichen Vergabe des sogenannten Wegerechtes ein wichtiges energiepolitisches Pfand in ihren Händen.
Die Kommunen haben also folgende neue Möglichkeiten:
- Abschluss des Konzessionsvertrags mit dem bisherigen Netzbetreiber, aber zu fairen Bedingungen,
- Abschluss des Konzessionsvertrags mit einem neuen Netzbetreiber zu fairen Konditionen,
- Rekommunalisierung des örtlichen Stromnetzes und Gründung eigener Stadtwerke.
Grüner Muster-Konzessionsvertrag
Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg und der Kreisverband Esslingen haben einen Muster-Konzessionsvertrag ausarbeiten lassen, der sich als die kommunen- und klimafreundliche Alternative zum Konzessionsvertrag der EnBW versteht. Die Initiative beruht auf der langjährigen energiepolitischen Arbeit des grünen Kreisverbands Esslingen. Zugleich haben der Bundesverband der Grünen und andere Landesverbände den Auftrag unterstützt.
Der Grüne Muster-Konzessionsvertrag versetzt die Kommunen in die Lage, selbstbewusst und auf Augenhöhe mit der EnBW über die Neuvergabe der Konzessionsverträge zu verhandeln. Unser Ziel ist es, eine neue klimafreundliche kommunale Energiepolitik möglich zu machen.
Politische Ziele des Grünen Muster-Konzessionsvertrags
1) Stärkung der Kommunen
Mit dem Grünen Konzessionsvertrag können sich die Kommunen aus der Umklammerung der EnBW befreien: Die Interessen der Kommunen finden sich darin gleichberechtigt neben den Interessen der Netzbetreiber wieder. Auf der neuen, fairen Vertragsgrundlage können die Kommunen zukünftig in vielen Dingen mitreden und sind nicht mehr allein auf den guten Willen der EnBW angewiesen. Der Muster-Konzessionsvertrag ermöglicht eine faire Partnerschaft zwischen der Kommune und dem Netzbetreiber.
Die EnBW stünde künftig vor der Alternative, entweder dem Abschluss eines kommunenfreundlichen Konzessionsvertrags zuzustimmen oder – wenn sie weiter auf ihren eigenen, aus unserer Sicht kommunen-unfreundlichen Muster-Konzessionsvertrag beharrt – nicht den Zuschlag für den weiteren Netzbetrieb zu bekommen.
2) Neue klimafreundliche Energiepolitik vor Ort
Der Grüne Muster-Konzessionsvertrag bringt den Klimaschutz voran und macht den Weg in die energiepolitische Zukunft vor Ort frei. Anstatt eines energiepolitischen „Weiter so“ wird mit dem Vertrag eine kommunale Energiewende eingeleitet, die auf die drei E – Erneuerbare Energien, Energieeinsparung und Energieeffizienz – setzt. So wird z.B. der Ausbau erneuerbarer Energien oder dezentraler Energieversorgungsstrukturen ebenso vertraglich vereinbart wie die Entwicklung eines Konzepts zum Ausbau der Elektromobilität.
3) Rekommunalisierung der örtlichen Stromnetze als Möglichkeit prüfen
Bündnis 90/Die Grünen wollen die Städte und Gemeinden dabei unterstützen, die Rekommunalisierung der örtlichen Stromnetze als eine Möglichkeit bei der Neuvergabe der Konzessionsverträge zu prüfen.
Kommunen, die die Energieversorgung rekommunalisieren und die Stromnetze den eigenen oder neu gegründeten Stadtwerken übertragen, oder Kommunen, die ihre Energieversorgung nie aus der Hand gegeben haben, sind am besten in der Lage,
- die Eigenstromerzeugung und die Erneuerbaren Energien auszubauen,
- die energieeffiziente Kraftwärmekopplung auszubauen,
- die klimafreundliche Nahwärmeversorgung auszubauen,
- Ökostrom anzubieten, durch den vor Ort die Erneuerbaren Energien ausgebaut werden,
- die Energiespar-Beratung voranzutreiben und
- verbraucherfreundlich zu handeln.
Ein solcher Umbau der Energieversorgung hat viele positive Effekte: Er dient dem Klimaschutz. Er führt zu einer Schwächung der übergroßen Marktdominanz der vier großen Energiekonzerne und stärkt kleinere Energieversorger. Er stärkt die regionalen Wirtschaftkreisläufe und den regionalen Arbeitsmarkt. Außerdem steigen die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen durch neue Netzbetreiber vor Ort.
Inhalte des Grünen Muster-Konzessionsvertrags
Mit dem Grünen, kommunenfreundlichen Konzessionsvertrag wurden erstmals die Interessen der Kommunen und des Klimaschutzes in einem Mustervertrag zusammengefasst. Der Grüne Muster-Konzessionsvertrag hat folgende Kerninhalte:
1) Sonderkündigungsrecht der Kommune nach 10 Jahren
Seit der Liberalisierung des Strommarktes hat die Energiewirtschaft ein völlig neues Gesicht bekommen. Außerdem schreitet der Ausbau der Erneuerbaren Energien voran, was regelmäßige Anpassungen im Stromnetz erfordert. Deshalb brauchen die Kommunen mehr Flexibilität: Sich in dieser rasant verändernden Gesamtsituation auf 20 Jahre vertraglich fest zu binden bedeutet energiepolitischen Stillstand in der Kommune. Deshalb sieht der Grüne Muster-Konzessionsvertrag ein Sonderkündigungsrecht für die Kommunen nach 10 Jahren Vertragslaufzeit vor.
2) Klares Bekenntnis beider Vertragspartner zum Ausbau Erneuerbarer Energien und dezentraler Erzeugungsstrukturen
- Das Energieversorgungsunternehmen und die Gemeinde verpflichten sich, ein Konzept zu entwickeln, wie sie die BürgerInnen stärker als bisher über Erneuerbare Energien informieren. Hierzu sollen auch Beratungsstellen eingerichtet werden. Die Stromkunden sollen über ihre Rechte und über Fördermöglichkeiten bei der Errichtung von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und Anlagen im Sinne des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) informiert werden.
- Das Energieversorgungsunternehmen leistet Aufbauunterstützung zur Gründung von Bürgersolaranlagen und zur Nutzung kommunaler Dächer für die Solarstromerzeugung.
- Das Energieversorgungsunternehmen berät die örtlichen Stromkunden, wie sie Energie einsparen können.
- Das Energieversorgungsunternehmen ist verpflichtet, Leitungsverluste im örtlichen Stromnetz zu reduzieren.
- Das Energieversorgungsunternehmen ist verpflichtet, die Kommune bei der Erarbeitung von kommunalen Energiekonzepten zu unterstützen.
- Es soll eine kommunale Schlichtungsstelle eingerichtet werden, die bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Energieversorger und Betreiber (oder potentiellem Betreiber) zu Netzanschluss- oder Einspeiseproblematiken vermittelt. Schon bei der Entstehung von neuen Anlagen soll so die Schwelle des Gerichtsweges tiefer gehängt werden, da den erneuerbaren Energien von den Energieversorgungsunternehmen bislang immer noch unnötige Hürden in den Weg gelegt werden.
3) Regelmäßige Berichtspflichten des Energieversorgers zur Entwicklung dezentraler Erzeugungsstrukturen und Erneuerbarer Energien
Nur wenn die Kommune die Entwicklungsmöglichkeiten zum Ausbau dezentraler Erzeugungsstrukturen und Erneuerbarer Energien kennt, kann sie positiv lenkend einwirken. Die Berichtspflicht des Energieversorgungsunternehmens umfasst:
- die Anzahl der Neuanschlüsse von Erzeugungsanlagen im Netzgebiet,
- die gesamte Erzeugungsleistung im Netzgebiet,
- die eingespeisten Kilowattstunden nach EEG und KWKG,
- den Strommix im örtlichen Netz,
- Netzengpässe im örtlichen Netz,
- die Entwicklung des Einsatzes intelligenter Stromzähler.
4) Pflicht des Energieversorgers zur Erstellung eines Konzepts zum Ausbau der Elektromobilität
Die elektrische Mobilität hat große Zukunftschancen. Über die Speicherbarkeit elektrischer Energie in Autobatterien als Netzpuffer werden den erneuerbaren Energien weitere, sehr hohe Anteile am deutschen Strommix zugetraut. Hierzu bedarf es einer umfassenden örtlichen Infrastruktur mit zahlreichen Autobatterie-Ladestationen für den ruhenden Verkehr und einem intelligenten, elektronischen Abrechnungssystem. Der Energieversorger muss ein entsprechendes Konzept für die Kommunen erarbeiten.
5) Verbot der künstlichen Verbilligung von Heizstrom (Grundlaststrom)
Der Ganztages-Betrieb fossil befeuerter Großkraftwerke wird mit verbilligtem Heizstrom für elektrische Nachtspeicheröfen gerechtfertigt. Klimapolitisch ist es unsinnig, Großkraftwerke zu Tageszeiten zu betreiben, an denen nur wenig Strom verbraucht wird. Zudem ist der verbilligte Nachtstromtarif für die Anbieter nicht auskömmlich. Alle Kunden tragen die Subventionierung des verbilligten Tarifs mit. Das Verbot niedrigerer Netzentgelte für Heizstrom führt zu einem realistischeren Preis von Heizstrom und bewirkt mittelfristig, dass Elektrospeicherheizungen durch ökologischere Heizsysteme ersetzt werden.
6) Regelmäßige und klare Berichtspflichten zu kaufmännischen und historischen Netzdaten sowie Vorlage eines Konzeptes zur Netzentflechtung
Bei einer Netzübernahme liegen dem neuen Netzbetreiber bislang kaum belastbare Zahlen zur wirtschaftlichen Bewertung des Betriebs des neuen Netzes vor. Um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern, sind die bisherigen Netzbetreiber in der Regel nicht bereit, umfassende Daten zur Verfügung zu stellen, obwohl sie hierzu gesetzlich verpflichtet sind. Um künftig Wettbewerb zu ermöglichen, verpflichtet der Grüne Muster-Konzessionsvertrag das Energieversorgungsunternehmen, der Kommune solche Daten regelmäßig zu übergeben. Bei Nichterfüllung sind Vertragsstrafen vereinbart.
Ausblick
Der Grüne Muster-Konzessionsvertrag soll in den kommenden Monaten in die Städte und Gemeinden getragen werden. Zu diesem Zweck werden Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg allen grünen und grün-alternativen Gemeinderatsfraktionen im Land ein umfassendes Informationspaket rund um den Kommunenfreundlichen Muster-Konzessionsvertrag zuschicken. Damit sind die Grünen vor Ort gut gerüstet: Wenn in einer Gemeinde die Neuvergabe des Strom-Konzessionsvertrages ansteht, werden die grünen Fraktionen den Kommunenfreundlichen Konzessionsvertrag als Antrag im jeweiligen Gemeinderat einbringen und sich dafür stark machen, dass er umgesetzt wird. Außerdem arbeitet Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg beim Muster-Konzessionsvertrag mit anderen Grünen Landesverbänden (u.a. Bayern, Niedersachsen) zusammen. Auch diese wollen in ihren Städten und Gemeinden mit Hilfe des Muster-Konzessionsvertrags die Kommunen gegenüber den großen Energiekonzernen stärken und eine neue, klimafreundliche Energiepolitik vor Ort auf den Weg bringen.