860.000 Menschen in Deutschland hatten im Jahr 2016 keine Wohnung. Seit 2014 hat sich die Zahl der Wohnungslosen beinahe verdoppelt. Unser Redaktionsmitglied Alina Welser im Gespräch mit Werena Rosenke, der Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, über Wohnungs- und Obdachlosigkeit und nicht zuletzt darüber, was die Politik in Zukunft besser machen muss.
Das Gespräch führte Alina Welser für Grüne Blätter 1/2018: Stadt leben.
Wie hat sich die Zahl der obdachlosen Menschen entwickelt?
Werena Rosenke: Die Zahl der Menschen, die ohne jegliche Unterkunft auf der Straße leben ist, genauso wie die Zahl der wohnungslosen Menschen insgesamt, in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Wir gehen davon aus, dass circa 52.000 Menschen ohne jede Unterkunft auf der Straße leben.
Was sind Ursachen für die steigende Zahl an Obdach- und Wohnungslosen?
Werena Rosenke: Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit vielen Jahren und zugleich geht die Zahl der Wohnungslosen kontinuierlich nach oben. Daraus lässt sich schließen, dass es eine immer kleiner werdende Anzahl an bezahlbarem Wohnraum gibt. Gleichzeitig gibt es eine immer größer werdende Zahl von Menschen, die auf preiswerte Wohnungen angewiesen sind. Die Flüchtlinge haben die Situation noch verschärft. In vielen Ländern hat es außerdem in den letzten zehn Jahren überhaupt keinen sozialen Wohnungsbau gegeben. Man hat den Wohnungsmarkt sich selbst überlassen und der Privatisierung öffentlicher Wohnungen nicht entgegengewirkt.
Wer fühlt sich für die Obdachlosen verantwortlich? Kommunen, Länder oder der Bund?
Werena Rosenke: Für die Obdachlosen sind in erster Linie die Städte zuständig. Jeder, der unfreiwillig obdachlos geworden ist, hat ein Anrecht darauf, von der jeweiligen Kommune nach Ordnungsrecht untergebracht zu werden. Gerade im ländlichen Raum verneinen manche Kommunen, überhaupt Obdachlose zu haben, wohlwissend, dass diese nur in die nächste Stadt abgewandert sind. Dadurch ergibt sich ein Teufelskreis. Im Winter initiieren die Kommunen oftmals Sofortprogramme, wie zum Beispiel dieses Jahr in Berlin, da sie zurecht Angst haben, dass Leute auf der Straße erfrieren könnten. Aber das Leben auf der Straße ist eben auch ab April gefährlich und nicht menschenwürdig.
Was kann die Politik kurz- und langfristig für Obdachlose unternehmen?
Werena Rosenke: Der Bau von mehr sozialen Wohnungen ist eine Grundvoraussetzung, damit die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland wieder abnimmt. Wichtig wäre es aber auch, dass bereits wohnungslose Menschen die Chance haben, wieder eine Wohnung zu finden. Wir fordern außerdem, dass in jeder Kommune eine bestimmte Prozentzahl der Sozialwohnungen für Wohnungslose zur Verfügung gestellt wird. Auch sollten mehr Anreize von Seiten der Politik geschaffen werden, damit Privatpersonen an Wohnungslose vermieten. In Karlsruhe haben zum Beispiel die Kommunen Renovierungskosten für private Vermieter*innen übernommen, die sich dann verpflichten mussten, zehn bis 15 Jahre an wohnungslose Menschen zu vermieten.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift zum Thema Städte: Grüne Blätter 1/2018: Stadt leben