Der Parteitag des Bundesverbandes von Bündnis 90/Die Grünen, die so genannte Bundesdelegiertenkonferenz (BDK), wartet mit besonderer Themenvielfalt und einer Terminkollision auf die mehr als 600 Delegierten. Sie treffen sich vom 26. bis 28. November in Kiel. Für die baden-württembergischen Grünen mit dabei ist Landesvorsitzender Chris Kühn. Im Interview erklärt er Themen und Neuerungen der BDK – und sagt, welches Signal aus dem hohen Norden im Süden ankommen soll.
Herr Kühn, ein voll gepacktes Wochenende steht vor der Tür: Bei uns im Land die Volksabstimmung zu Stuttgart 21, weit weg in Kiel die BDK – und im Wendland wird ein Castor-Transport mit hoch radioaktivem Atommüll erwartet. Und Sie sind überall mittendrin?
Nein, das geht leider nicht, ich kann mich ja nicht zerreißen. Aber zum Glück ist zur Volksabstimmung auch Briefwahl möglich – mein Ja zum Ausstieg ist schon im Wahlumschlag. Und zum Glück haben wir eine Doppelspitze im Landesvorstand. So hält meine Kollegin Thekla Walker zur Volksabstimmung die Stellung im Land, und ich reise nach Kiel. Ich hoffe nur, dass ich zwischendurch mal die Ostsee zu Gesicht bekomme. Das wird ein anstrengender Arbeitsparteitag.
Worum geht es bei dieser BDK? Was ist aus baden-württembergischer Sicht hervorzuheben?
Passend zur Volksabstimmung in Baden-Württemberg hat der Bundesvorstand einen Leitantrag für einen demokratischen Aufbruch in der Krise eingebracht. Darin geht es unter anderem um die frühere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bei Planungsverfahren, um die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene, die Einführung eines Lobbyregisters für mehr Transparenz und nicht zuletzt um die Stärkung der Parlamente. Eine zukunftsweisende Debatte erwarte ich auch in der Europapolitik. Baden-Württemberg ist auf ein starkes und gesundes Europa angewiesen, und das nicht allein wegen des Exports.
Was ist in Sachen Finanzpolitik von der BDK zu erwarten?
Ich erwarte auch eine spannende Debatte unter starker baden-württembergischer Beteiligung zur Frage Vermögensteuer oder Vermögensabgabe. Klar ist, wir wollen die Reichen stärker an der Bewältigung der Krise und an den notwendigen Investitionen in die Zukunft beteiligen. Klar ist auch: Steuersenkungen sind ein falsches Signal dieser ebenso unfähigen wie verzweifelten schwarz-gelben Bundesregierung. Die BDK wird sich für einen grünen Dreiklang aus Subventionsabbau, Ausgabenkürzungen und Einnahmeerhöhungen stark machen.
Dieser Dreiklang ertönt aktuell auch in Baden-Württemberg…
Ja, eine seriöse Haushaltspolitik ist ein Schwerpunkt der grün-roten Landesregierung. Sie hat es geschafft, einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen und dennoch Schwerpunkte unter anderem bei Bildung, ökologischer Modernisierung und Sanierung zu setzen. Das ist gelungene Haushaltspolitik.
Welches Signal wird parteipolitisch von der BDK in Kiel ausgehen?
Wir werden selbstbewusste Grüne erleben, die die politische Eigenständigkeit betonen. 2011 war das erfolgreichste Jahr in der 30-jährigen Geschichte unserer Partei: In Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz sind wir seither an der Regierung. Und wir Grünen sind nun erstmals in allen 16 Landesparlamenten vertreten. Mit diesem Parteitag stellen wir uns inhaltlich auf die Bundestagswahl ein. Und das ist vielleicht das wichtigste Signal aus Kiel: Dass wir die richtigen Rezepte gegen die Krise haben. Und dass wir damit die Alternative zu Schwarz-Gelb sind. Was diese Bundesregierung heute schon hinterlassen hat, ist ein einziges Desaster. Wir zeigen auf dieser BDK Wege aus diesem Desaster…
…und biegen dabei in die Koalitionssackgasse ein?
Ich halte jetzt nichts von Koalitions- und Richtungsdebatten. Wir brauchen Geschlossenheit. Jetzt geht es allein um Inhalte. Ich will aber festhalten: Wir Grünen regieren gut mit der SPD in Baden-Württemberg.
Nochmals zu den Inhalten. In Kiel steht auch die Netzpolitik auf der Tagesordnung. Um was geht es konkret?
Wir werden unsere netzpolitischen Positionen weiterentwickeln. Der Bundesvorstand stellt in seinem Leitantrag zurecht die besondere Bedeutung der Netzpolitik fest. Sie ist ein großes Querschnittsthema unserer Zeit. Es geht unter anderem um Sicherung der Freiheits- und Bürgerrechte, um demokratische Mitbestimmung und Teilhabe. Und es geht darum, das Urheberrecht zum Wohle von Userinnen und Usern, von Künstlerinnen und Künstlern weiterzuentwickeln. Wir wollen in Kiel außerdem deutlich machen: Mit uns wird es keine Vorratsdatenspeicherung gebe.
Was ist neu an dieser BDK?
Mit Winfried Kretschmann der erste Auftritt eines grünen Ministerpräsidenten…
…der sich Beteiligung und Transparenz auf die Fahnen geschrieben hat. Und genau dahingehend wird es Neuerungen auf der BDK geben.
Ja, die Partei will mit gutem Beispiel vorangehen und noch mehr Menschen für Politik begeistern. So wird es erstmals eine Workshop-Phase geben. Mit den Workshops wird Raum geschaffen für eine intensive Auseinandersetzung über den Tagesordnungspunkt „Demokratischer Aufbruch in der Krise“, wie sie sonst auf einem Parteitag nicht möglich wäre. Dank einer Änderung der BDK-Geschäftsordnung können aus diesen Workshops heraus Änderungsanträge in die Debatte eingebracht werden.
Zur umfangreichen Tagesordnung kommt noch eine Terminkollision: Der Castor rollt am Samstag nach Gorleben. Ein Pflichttermin für Grüne, oder?
Selbstverständlich werden wir uns wieder solidarisch zeigen mit den Castorgegnerinnen und -gegnern: Von der BDK fahren Busse zur Demonstration nach Gorleben. Leider können wir nicht alle ins Wendland fahren, wer sollte dann die Beschlüsse auf der BDK fällen? Die offene Suche nach einem Endlager übrigens ist das Ergebnis beharrlicher Proteste der Menschen im Wendland – und grüner Politik. Ich finde es richtig, dass Ministerpräsident Kretschmann sich für eine bundesweite und ergebnisoffene Endlagersuche stark gemacht hat. Gorleben ist als Standort denkbar ungeeignet.
Zum Schluss interessiert uns Ihre Prognose zur Volksabstimmung in Baden-Württemberg
Ich bin überzeugt vom Erfolg der Volksabstimmung. Wichtig ist, dass viele Menschen ihre Stimme abgeben. Wir Grünen wollen oben bleiben.