Um das Klima ambitionierter zu schützen, wird nun geklagt. Zehn Familien aus fünf EU-Staaten, Kenia und Fidschi sowie ein schwedischer Jugendverband führen einen Rechtsstreit gegen die Klimaziele der EU. Und der Andenbauer Saúl Luciano Lliuya klagt gegen RWE. Die Umweltorganisation Germanwatch unterstützt diese Klagen. Wir haben mit dem Politischen Geschäftsführer Christoph Bals darüber gesprochen.
Das Gespräch führte Marcel Emmerich für Grüne Blätter 2/2019: Klimakrise.
Worum geht es bei der Klage gegen die Europäische Union?
Christoph Bals: Im Fall der Grundrechtsklage von Familien, auch People‘s Climate Case (PCC) genannt, geht es darum, dass die aktuell beschlossenen EU-Klimaziele und -gesetze zur Umsetzung nicht ausreichen, um die Grundrechte der Bürger*innen vor den Auswirkungen der fortschreitenden Klimakrise zu schützen. Das Hauptziel ist, das unzureichende bestehende EU-Klimaziel für 2030, das eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 vorsieht, zu verschärfen.
Und im Fall von Saúl Luciano Lliuya gegen RWE?
Christoph Bals: Im November 2015 hat der Peruaner Klage gegen RWE erhoben. Er verlangt vom größten Emittenten Europas, anteilig die Kosten zum Schutz seines Hauses zu übernehmen. Das Haus liegt in der Bergregion Cordillera Blanca in der Stadt Huaraz unterhalb eines Gletschersees. Aufgrund der Gletscherschmelze droht ihm und einem Teil der Stadt eine verheerende Flutkatastrophe, von der bis zu 50.000 Menschen betroffen sein könnten.
Aber was hat RWE damit zu tun?
Christoph Bals: RWE ist nach dem sogenannten Carbon Majors Report für 0,47 Prozent der globalen CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich. Saúl Luciano Lliuya fordert das Unternehmen daher auf, 0,47 Prozent der Kosten für die am Gletschersee notwendigen Schutzmaßnahmen zu übernehmen – das sind ungefähr 17.000 Euro.
Gibt es noch andere Klagen dieser Art auf der Welt?
Christoph Bals: Nein. Der Fall ist der erste seiner Art und damit ein wichtiger Präzedenzfall. Die Akzeptanz der juristischen Argumentation durch das Oberlandesgericht Hamm und der Eintritt in die Beweisaufnahme ist ein wichtiger Schritt in Richtung neuer rechtlicher Möglichkeiten für Betroffene.
Die Familienklage hat das Europäische Gericht als unzulässig abgewiesen. Wie ist der aktuelle Stand?
Christoph Bals: In erster Instanz hat das Gericht mit Beschluss vom 8. Mai 2019 dargelegt, dass die Kläger*innen aufgrund mangelnder individueller Betroffenheit nicht befugt seien, die Klimapolitik der EU vor Gericht anzufechten. Das absurde Kernargument: Da alle Menschen vom Klimawandel betroffen seien, könne die individuelle Betroffenheit nicht behauptet werden.
Wie hat die Europäische Union juristisch auf die Klage reagiert?
Christoph Bals: Auf Antrag der Beklagten, Europäisches Parlament und Rat der EU, hat sich das Europäische Gericht in diesem Beschluss zunächst nur mit der Frage befasst, ob die Kläger*innen ihr Anliegen vor Gericht überhaupt vortragen dürfen und Zugang zu einer gerichtlichen Entscheidung in der Sache erhalten.
Und wie geht es weiter?
Christoph Bals: Die Kläger*innen bereiten derzeit mit ihren Anwält*innen vor, beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Rechtsmittel einzulegen. Bahnbrechende Grundsatzurteile sind eher in dieser zweiten Instanz zu erwarten. Wenn aber auch diese die Zulässigkeit verneint, findet der gesamte Rechtsstreit hier sein Ende. Wenn der EuGH sie aber bejaht, dann wird der Rechtsstreit an das Europäische Gericht zurückverwiesen und dann endlich zur Sache verhandelt.
Da ist der Fall Huaraz schon angekommen …
Christoph Bals: Richtig. Diese Zivilklage befindet sich in zweiter Instanz in der Beweisaufnahme vor dem Oberlandesgericht Hamm. Das Gericht hat zwei Sachverständige bestellt, die mit der Arbeit am Gutachten zur ersten Beweisfrage begonnen haben, ob eine ernsthaft drohende Beeinträchtigung des Hausgrundstücks des Klägers vorliegt.
Wie soll das festgestellt werden?
Christoph Bals: Das Gericht hält einen Ortsbesuch in Huaraz für notwendig. Es hat ein Ersuchen an den Staat Peru gestellt, die Örtlichkeiten in Huaraz in Augenschein nehmen zu dürfen. Da es kein Rechtshilfeabkommen zwischen Deutschland und Peru gibt, wird das ein Jahr dauern. Der Ortsbesuch zeigt, wie ernst das Gericht den Sachverhalt nimmt.
Zum Schluss noch eine grundsätzliche Frage: Warum ist dieser juristische Weg Ihrer Meinung nach jetzt notwendig?
Christoph Bals: Bisher reichen die Klimaziele von Staaten und Unternehmen nicht aus und die jetzt schon massiv Betroffenen werden nicht ausreichend unterstützt. Wer aber andere schädigt, hat zwei rechtliche Pflichten: Erstens, die Schädigung einzustellen – also schnell und massiv Emissionen zu reduzieren. Zweitens, die Betroffenen vor Schäden zu schützen bzw. doch auftretende Schäden wenigstens finanziell zu übernehmen.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift zum Thema Klima: Grüne Blätter 2/2019: Klimakrise.