Herr Kretschmann, was haben Sie als Letztes mit dem Kirchenchor in Laiz einstudiert?
Lieder zum 80. Geburtstag unseres ehemaligen Dirigenten. Darunter der Klassiker von Silcher „Hab oft im Kreise der Lieben“.
Wann waren Sie zuletzt bei der Chorprobe?
Zur Vorbereitung dieser Lieder, zwischen Weihnachten und Neujahr.
Was verpassen Sie in Laiz auf gar keinen Fall, Wahlkampf hin oder her?
Den Narrenball der Narrenzunft Balkenstrecker.
Manche Grüne haben ja schon mit ihren Autos Schlagzeilen gemacht. Was für einen Antrieb hat eigentlich Ihr Dienstwagen?
Erdgas.
Wann war Ihre letzte Zugfahrt?
Heute Morgen.
Was ist eigentlich so cool an einem Bürstenhaarschnitt?
Ich hatte immer einen braven Scheitel, bis meine Tochter gesagt hat, du hast eine Frisur wie ein CDUler, und ich solle mir mal eine gescheite Frisur verpassen.
Wo wären Sie heute, wenn Sie nicht vor 30 Jahren die Grünen mitbegründet hätten?
Vielleicht Schulleiter eines Gymnasiums auf dem Land.
Schon auf Gründungsfotos tragen Sie Jackett. Was haben Sie gegen Latzhosen?
Nichts. Ich werkle zuhause durchaus im blauen Anton, aber warum soll man mit einer Latzhose rumlaufen wo es gar nicht passt?
Aber Turnschuhe hätten Sie – für den Fall eines Ministeramts?
Ja. Turnschuhe habe ich, ich brauche sie für mein Training im Fitnessstudio.
Haben Sie jemals Müsli gefrühstückt?
Ich bin ein leidenschaftlicher Müsliesser.
Jetzt machen Sie 30 Jahre Landespolitik, und die CDU beschimpft die Grünen als die Dagegen-Partei. Die SPD sagt, sie hätten nur ein Thema. Was ist schiefgelaufen?
Nichts, denn das sind populistische Kampagnen. Der Kern der Demokratie ist der Streit um Alternativen. Die Kampagne suggeriert, es gäbe nur eine Lösung – und zwar die von oben. Nichts untergräbt das Vertrauen einer aufgeklärten Bürgergesellschaft in die Politik mehr als diese Haltung.
Was sind die Themen der Grünen?
Die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft und die entsprechende Infrastrukturpolitik, bessere Bildung durch individuelle Förderung und Entkopplung des Bildungsaufstiegs von der Herkunft. Solide, nachhaltige Finanzpolitik, um die Gestaltungsfähigkeit des Landes auch in Zukunft aufrechtzuerhalten. Das übergreifende Thema ist, wie beteiligen wir die Bürger auf Augenhöhe an Entscheidungen.
Sind die Auseinandersetzungen über Stuttgart 21 Fluch oder Segen für die Grünen?
Erst mal sind sie ein Segen für die ganze Gesellschaft. Egal wie es ausgeht, Stuttgart 21 hat die Republik verändert. Die Schlichtung könnte so etwas wie eine Blaupause für die Zukunft sein – allerdings vor und im Verfahren nicht danach. Und was für die Gesellschaft ein Segen ist, kann für die Grünen nur ein doppelter Segen sein.
Sind die „Wutbürger“ Ihre Klientel?
Ich weiß nicht, ob ich mich auf dieses Wort einlassen soll. Dass man auch mal wütend wird, ist wichtig, ohne die Wut wären wir Grüne gar nicht entstanden. Das Charmante an den Grünen ist aber, dass aus Wutbürgern Mutbürger wurden, die Mut haben zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen.
Warum müssen die Grünen dieses Mal unbedingt an die Regierung kommen?
Wir wollen an die Regierung kommen, „müssen“ und „unbedingt“ sind nicht die richtigen Begriffe, denn das bestimmt der Souverän. Aber es wäre für das Land gut, wenn wir Verantwortung übernehmen. Wir stehen ja vor großen Herausforderungen. Da braucht man so einen innovativen Haufen, wie wir es sind. Im Moment herrscht ja regelrechte Aufbruchstimmung gegenüber der Ausgezehrtheit des Regierungslagers.
Aufbruch, wozu?
Aufbruch in ein Zeitalter, in dem wir Wohlstand und Lebensqualität schaffen, ohne damit die Grundlagen des Planeten zu gefährden. Das ist die große Vision des 21. Jahrhunderts. Ich sehe nicht, dass das jemand außer uns zum Kernthema macht. Deshalb braucht Baden-Württemberg uns mehr denn je.
Was finden Sie auf einmal an der SPD so toll?
Ich finde, die SPD hat jetzt einen Spitzenkandidaten, der auch mal in längeren Linien denkt. Der solide an die Dinge herangeht. Ich kenne ihn gut aus dem Wahlkreis. Daher kann ich mir gut vorstellen, dass wir zusammen etwas Gescheites hinkriegen.
Spricht außer Nils Schmid noch etwas für die SPD?
Wir haben in zwei wichtigen Themen Übereinstimmung. In der Atompolitik liegen wir auf einer Linie und auch in der Bildungspolitik sehe ich, dass sie sich sehr auf unsere Position zubewegt hat, das Bildungswesen von unten nach oben zu öffnen.
Früher mochten Sie die CDU…
Ob ich die CDU mochte oder mir das angedichtet wird, lasse ich mal dahingestellt. Bisher kam man ja nicht an der CDU vorbei, wenn man eine Machtoption haben wollte. Das ist jetzt nicht mehr so. Meine Überlegung war eher, dass die Grünen in einer Koalition mit einer wirtschaftsnahen Partei die ökologische Umgestaltung der Wirtschaft in den Mittelpunkt rücken könnten. Das kann ich heute nicht mehr erkennen. Mit der Verlängerung der Atomlaufzeiten hat die CDU einen historischen Fehler begangen. Denn die dynamischen Sektoren sitzen ja im Mittelstand bei energie- und ressourcensparenden Produkten und nicht in der Atomtechnologie.
Was schätzen Sie an Stefan Mappus?
Er ist verlässlich als Verhandlungspartner.
Noch was?
Das langt an Lob, wir sind schließlich im Wahlkampf.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Linken?
Ich bin durch meine eigene Jugend gegen linksradikale Verirrungen immunisiert. Deshalb habe ich mit dieser Wünsch-dir-was-Partei nichts am Hut. Ihre bizarre Kommunismusdebatte zeigt einen Weg, der die Freiheit der Gleichheit radikal unterordnet, der kann nur in die Irre führen. Entweder in eine Gesellschaft der Armut oder in eine Diktatur oder beides.
Schon als die SPD in Umfragen hinter den Grünen lag, hat deren Spitzenkandidat Nils Schmid Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt erhoben. Sie tun das nicht. Warum nicht?
Doch, das mache ich. Ich möchte Ministerpräsident werden. Das ändert aber nichts daran, dass die Wähler das entscheiden, nicht ich. Deshalb gehe ich die Frage zurückhaltend an. Ich will auch deutlich machen, dass es uns nicht um Posten geht, sondern um Macht. Wir wollen etwas gestalten. Wenn der Souverän mir diese Verantwortung zuweist, nehme ich sie gerne an und werde kraftvoll gestalten.
Was ist, wenn es mit dem Regieren wieder nichts wird, jetzt wo Sie so nah dran sind wie nie?
Auf diese Frage antwortet man als kluger Politiker nicht. Wir wollen Siegeswillen ausstrahlen. Was wir machen, wenn’s nicht klappt, überlegen wir uns dann, wenn’s nicht klappt.
Hat es emanzipatorische Bedeutung, wenn die Grünen stärker werden als die SPD?
Wenn wir tatsächlich stark wachsen bei der Wahl, hat das eine wichtige Bedeutung. Das ist wie ein Aufstieg in eine andere Liga. Es kämen ganz andere Aufgaben auf uns zu. In der ersten Liga muss man führen und nicht nur mitgestalten. Wir hätten eine ganz andere Gesamtverantwortung.
Was ist der Sinn von Politik?
Freiheit, wie Hannah Arendt gesagt hat.
Wie sehr trifft Sie der Vorwurf, Politiker seien Lügenpack?
Ich halte von diesem Vorwurf überhaupt nichts. In einer Demokratie geht es nicht um Lüge oder Wahrheit. Darum geht es in Diktaturen. In der Demokratie geht es um Alternativen. Presse- und Meinungsfreiheit verhindern in der Demokratie, dass systematisch gelogen wird.
Aber die Glaubwürdigkeit ist verloren.
Das sehe ich genauso. Wenn so eine Parole wie Lügenpack auftritt, dann stimmt schon was nicht im Staate Dänemark. Wir sehen an Stuttgart 21, dass man nicht von Anfang an offen war für Alternativen. Die Offenheit ist erst im Schlichtungsprozess entstanden. Die Leute, die Lügenpack rufen, wollen, dass offen über Alternativen gestritten wird. Dass Alternativen ernst genommen werden, ist das Entscheidende, um im Verhältnis der demokratischen Institutionen zur Bürgerschaft wieder Vertrauen zu schaffen. Das gilt für alle Politikbereiche, nicht nur für umstrittene Großprojekte.
Sind Sie stolz, Politiker zu sein?
Ich hab’s nicht so mit Stolz. Es gibt ein altdeutsches Sprichwort. Es lautet, Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.
Sind Sie gern Politiker?
Ja, leidenschaftlich gern.
Wie sehr trifft Sie der Vorwurf, Sie seien als Spitzenkandidat eine Marionette und Wegbereiter für Özdemir oder Palmer?
Dieser Vorwurf ist völlig haltlos. Solche Gerüchte setzt man als Ministerpräsident einfach nicht in die Welt. Es ist nicht anständig. Aber Herr Mappus greift ja auch seine Parteifreunde frontal an, wie Oberbürgermeister Schuster oder Bundesumweltminister Röttgen. Solche unüberlegten Alleingänge zeigen sich auch in der Sache wie beim EnBW-Deal am Parlament vorbei. Seinem Regierungsstil fehlt es an Besonnenheit und Berechenbarkeit.
Sind die Sitten verroht?
Es geht eher darum, dass man sich an die Werte hält, die man selber propagiert, siehe Guttenberg. Meine These ist, entweder es geht um mehr Bürgergesellschaft, oder die Gesellschaft polarisiert sich immer mehr. Dann können wir die Frage, was die moderne Gesellschaft zusammenhält, irgendwann einmal nicht mehr beantworten. Dann sind wir wirklich in der Krise.
Was hält die Gesellschaft zusammen?
Gemeinsame Werte und zivilisierter Streit.
Wen hätten Sie lieber in Ihrem Kabinett: Özdemir, Palmer oder Kuhn?
Wer Minister wird, darüber ist noch nie debattiert worden. Wir werden Personen finden, die für diese Positionen geeignet sind. Cem Özdemir allerdings sieht seine Aufgaben klar in Berlin.
Warum haben die recht, die Sie stur finden?
Falsch. Kant sagt, der Mensch ist ein Wesen, das nach Prinzipien handeln kann. Mahatma Ghandi hat Politik ohne Prinzipien als eine der sieben sozialen Sünden genannt. Politik ohne Prinzipien macht keinen Sinn. Wenn man je nach Tageslage Politik machen würde, würde in der Politik nichts geschehen, was nicht ohne sie auch geschähe. Darum braucht man Prinzipien.
Wo ist die Grenze zwischen Prinzipientreue und Prinzipienreiterei?
Prinzipienreiterei wäre Dogmatismus. Jedes Prinzip muss man im Kontext der Situation beurteilen. Da weicht man auch mal von Prinzipien ab. Auch als engagiertes Mitglied der katholischen Kirche bin ich kein Anhänger von Dogmatismus.