Nach fünf Jahren als Landesvorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg sagt Thekla Walker „Tschüss“ – und konzentriert sich ganz auf ihre Aufgaben in der Grünen-Landtagsfraktion. Ein Gespräch über Lust und manchmal auch Frust im Leben einer Parteichefin.
Liebe Thekla, fünf Jahre Parteichefin der Grünen in Baden-Württemberg: Länger war keine Frau in diesem Amt, das ist Rekord! Stolz darauf?
Ein klein wenig schon. Vor allem aber bin ich dankbar dafür, dass ich fünf Jahre lang mit derart engagierten Menschen Politik gestalten durfte, wie wir sie in unserer Grünen Partei haben – vom Ortsverein bis in die Regierungsspitze, sei es im Ehrenamt oder im Mandat. Und natürlich gehört auch dem engagierten Team in der Landesgeschäftsstelle mein Dank für die professionelle Arbeit in diesen fünf Jahren. Wie überzeugt und wie überzeugend unsere Grünen hier in Baden-Württemberg sind, haben wir nicht zuletzt im vergangenen Landtagswahlkampf gesehen.
Im Oktober 2011 wurdest du zur Landesvorsitzenden gewählt, als Nachfolgerin von Silke Krebs. Die Grünen führten seit einem knappen halben Jahr die Regierung an. Hand aufs Herz: Hast du damals an eine Wiederwahl 2016 geglaubt?
Ich erinnere mich gut, dass viele eine grün-geführte Landesregierung für einen „einmaligen Ausrutscher“ hielten oder für einen „einmaligen Glücksfall“ – je nach Sichtweise. Aber erstens: Wir Grünen haben mehr als 30 Jahre hart dafür gearbeitet, einmal Regierungsverantwortung zu übernehmen. Wir haben Ideen entwickelt, wie wir das Land voranbringen können. In den Gemeinderäten und Kreistagen sitzen seit vielen Jahren Grüne und leisten hervorragende Arbeit. Wir haben bei den Kommunalwahlen 2014 die meisten Mandate dazugewonnen – auch im ländlichen Raum! Der Erfolg fiel also nicht vom Himmel. Und zweitens: Wir haben mit Winfried Kretschmann einen absolut ehrlichen, wertegeleiteten und erfahrenen Politiker als Ministerpräsidenten. Kurzum: Aus genau diesen Gründen habe ich daran geglaubt, dass wir es schaffen können, auch wenn es ein hartes Stück Arbeit wird.
Baden-Württemberg ist unter Grün sozialer, ökologischer und weltoffener geworden. Über welche Erfolge hast du dich persönlich am meisten gefreut?
Das war natürlich der Nationalpark, mit dem wir der Natur wenigstens ein Stückchen Wald zurückgeben konnten. Eine Herzensangelegenheit war und ist für mich auch die bestmögliche Bildung für alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft. Insofern bin ich stolz darauf, dass wir die Kitaplätze um 50 Prozent ausgebaut haben. Und wir haben die Gemeinschaftsschulen etabliert, sie sind ein Erfolgsmodell. Diesen erfolgreichen bildungspolitischen Kurs werden wir auch unter Grün-Schwarz fortsetzen und uns in den kommenden Jahren auf die Verbesserung der Qualität konzentrieren.
„In keiner anderen Partei engagieren sich mehr Frauen und gestalten Politik – sei es in den Räten, im Landtag oder im Bundestag“
Fünf Jahre Parteichefin: Viel Lust, aber auch Frust?
Überwiegend Lust, weil wir viel bewegt und erreicht haben – Stichworte sind etwa Windkraftausbau, mehr direkte Demokratie oder den wirklich einmaligen Hochschulfinanzierungsvertrag, der für beste Studien- und Forschungsbedingungen im Südwesten sorgt. Richtig frustriert war ich, als wir es unter Grün-Rot nicht geschafft haben, das Landtagswahlrecht zu modernisieren, damit wir endlich mehr Frauen, junge Menschen oder Menschen mit Behinderung ins Landesparlament bekommen. Doch jetzt ist die Zeit reif: Im Koalitionsvertrag mit der CDU haben wir die Reform festgeklopft. Von SPD und FDP kommen positive Signale. Die Grüne Landtagsfraktion wird nun einen Fahrplan für das weitere Vorgehen vorschlagen.
Manche beschreiben dich als „Diplomatin“. Ist das eine gute Voraussetzung für die Vorsitzende einer Partei?
Es ist nicht die schlechteste Voraussetzung. Zumal es sich bei den Grünen ja um eine äußerst meinungsstarke und diskussionsfreudige Partei handelt – was ich an dieser Partei schätze. Die Debatten sind konstruktiv und dienen dazu, die besten Lösungen zu finden. Das moderiere ich gerne. Ich finde es wichtig, dem oder der Anderen offen und respektvoll zu begegnen. Mir fällt kein Zacken aus der Krone, wenn ich mich auch mal überzeugen lasse. Übrigens möchte ich das auch für meine beiden Co-Vorsitzenden gelten lassen – die ersten beiden Jahre Chris Kühn und dann Oliver Hildenbrand, mit denen ich hervorragend zusammengearbeitet habe.
Gibt es auch ein Thema, bei dem du stur bleibst?
(lacht) … beim Frauenstatut. Die Quotierung und die Doppelspitze gehören zur Grünen Partei und haben sich bewährt. Sie sind ein Erfolgsschlager der grünen Geschichte, weil sie männlich dominierte Strukturen aufbrechen. In keiner anderen Partei engagieren sich mehr Frauen und gestalten Politik – sei es in den Räten, im Landtag oder im Bundestag. In keiner anderen Partei gibt es mehr hoch qualifizierte Frauen in verantwortlicher Position. Und das muss auch so bleiben.
Parteivorsitzende sind Generalist*innen, müssen also alle politischen Themen querbeet abdecken. Dein neuer Schwerpunkt als Vize-Fraktionschefin und finanzpolitische Sprecherin ist das Geld. Hört sich trocken an ….
Ist es aber nicht. Haushalt und Finanzen betreffen alle Bereiche – von der Bildung über den Umweltschutz bis zur Landwirtschaft. Und der für uns Grüne übergeordnete Nachhaltigkeitsgedanke betrifft auch und gerade die Finanzen – wir wollen nicht auf Kosten der nachfolgenden Generationen leben. Hinzu kommt, dass wir auf der einen Seite sparen und den Haushalt konsolidieren müssen, auf der anderen Seite aber weiter investieren und gestalten wollen, etwa im Bereich der nachhaltigen Mobilität oder bei der Digitalisierung. Das ist eine riesige Herausforderung und – ja –ein richtig spannendes Thema.
Deine Nachfolgerin wird auf der Landesdelegierten-Konferenz in Schwäbisch Gmünd gewählt. Was ist die größte Herausforderung, die deiner Meinung nach auf sie zukommt?
Für mich ist es das Ringen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Flüchtlingszuzug stellt uns vor enorme Aufgaben. Dabei können wir uns auf eine couragierte Zivilbevölkerung verlassen, die bisher schon unglaublich viel geleistet hat. Gleichzeitig sorgt der Zuzug für Sorgen und Ängste. Und AfD, Pegida und Co. tun alles, um Ängste und Neid zu schüren oder zu verstärken. Wir erleben schlimmste Pöbeleien und Gewalt; wir erleben Hass aufs „System“, die Abkehr von der Demokratie und die Rückkehr zum Nationalismus, der bisher nichts als nur Leid gebracht hat. Wir Grünen müssen unseren Beitrag dazu leisten, das Vertrauen der Menschen in den Staat und seine Institutionen zurückzugewinnen. Wir müssen die Probleme anpacken, die es zweifelsohne gibt. Aber wir dürfen den Populisten und Untergangsverkündern nicht das Feld überlassen. Es gibt auch absolut keinen Grund dafür: Uns geht es so gut wie nie. Wir dürfen ruhig auch optimistisch sein.