„Ungeachtet des Ausgangs der beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Klagen gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken wäre die EnBW gut beraten, den Reaktor Neckarwestheim I möglichst rasch abzuschalten“, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag Franz Untersteller. Für einen solchen Schritt spräche neben den von der EnBW selbst diskutierten wirtschaftlichen Erwägungen aber in erster Linie das im Vergleich zu neueren Anlagen unzureichende Sicherheitsniveau des gut 34 Jahre am Netz befindlichen Reaktors. Selbst wenn man zentrale Defizite wie die nichtvorhandene Auslegung gegen den absichtlich herbeigeführten Absturz schwerer Verkehrsflugzeuge außen vor lasse, wäre ein dreistelliger Millionenbetrag erforderlich, um den Reaktor wenigstens ansatzweise an das Sicherheitsniveau neuerer Anlagen heranzuführen, so Untersteller.
Die Antwort des Umweltministeriums auf eine Anfrage Unterstellers wertet der Energieexperte der Grünen als Beleg dafür, dass zentrale Sicherheitseinrichtungen des in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts konzipierten und Anfang der 70er Jahre errichteten Reaktors in weiten Teilen erheblich vom heutigen Stand von Wissenschaft und Technik abweichen. „Neckarwestheim I wäre mit der vorhandenen Sicherheitsausstattung heute nicht einmal mehr ansatzweise genehmigungsfähig“, so Untersteller.
Das rot-grüne Ausstiegskonzept sah ursprünglich für 2009 die Stilllegung von GKN I vor. Die EnBW habe in den letzten Jahren – von kleineren Nachbesserungen und den üblichen Revisionsarbeiten einmal abgesehen – keine größeren sicherheitsrelevante Nachrüstmaßnahmen mehr vorgenommen. In der Hoffnung, bei Realisierung von Sicherheitsnachrüstungen Strommengen von der benachbarten – 13 Jahre jüngeren – Anlage GKN II auf den Altreaktor Neckarwestheim I übertragen zu dürfen, hatten die Betreiber selbst im Herbst 2007 der baden-württembergischen Atomaufsichtsbehörde einen umfangreichen Nachrüstkatalog vorgelegt. Offensichtlich hatte man seinerzeit beim baden-württembergischen Umweltministerium sogar um den Sofortvollzug der Maßnahmen nachgesucht.
Die Liste zur Verbesserung des Sicherheitsniveaus von GKN I umfasste umfangreiche Maßnahmen im Bereich der Elektro-, Leit- und Systemtechnik. Unter anderem sollte die veraltete Leittechnik durch eine moderne digitale Leittechnik ausgetauscht werden. Desweiteren war geplant, eine bei neueren Anlagen längst übliche räumliche Trennung der wichtigen Notstromsysteme zu realisieren, was mit umfangreichen Neubaumaßnahmen verbunden gewesen wäre.
Keines dieser sicherheitsgerichteten Vorhaben wurde aber bis dato von der EnBW in Angriff genommen. Bestätigt wird dies auch durch die jetzt vorgelegte Stellungnahme des Umweltministeriums. Demnach wurden die angedachten umfangreichen Nachrüstmaßnahmen „von der Betreiberseite nicht mit dem ursprünglichen Nachdruck weiterbetrieben“, nachdem die Strommengenübertragung von GKN II auf GKN I seitens des Bundesumweltministeriums 2008 abgelehnt worden sei. „Es drängt sich aber die Frage auf“ – so Untersteller – „warum Umweltministerin Gönner deren Erfüllung nicht zur Voraussetzung für die Gewährung der 8-jährigen Laufzeitverlängerung für GKN I gemacht hat. Gewünscht hätte ich mir, dass die Ministerin in dieser Angelegenheit ein ähnliches Engagement gezeigt hätte, wie dies in der Auseinandersetzung um die Laufzeitverlängerung von ihr über Monate hinweg zu beobachten war.“
Stattdessen demonstriere Ministerin Gönner in ihrer Stellungnahme ein nur noch schwer nachvollziehbares Amtsverständnis. Für die von der EnBW wohlgemerkt seit drei Jahren selbst beantragten Nachrüstmaßnahmen bestand demnach aus ihrer Sicht bislang „weder eine rechtliche Verpflichtung des Betreibers, die beantragten Maßnahmen durchzuführen, noch bestand eine rechtliche Handhabe des UVM, diese Maßnahmen entschädigungsfrei anzuordnen.“
Für den Fall einer Beteiligung der Grünen an der nächsten Landesregierung kündigte Untersteller eine konsequente, an den vor dem Hintergrund der Laufzeitverlängerung gewachsenen Sicherheitserfordernissen ausgerichtete Praxis bei der Atomaufsicht an. Dazu zähle, dass man im Hinblick auf die längere Laufzeit das Sicherheitsniveau von Altanlagen wie GKN I genau auf den Prüfstand stellen und soweit wie möglich entsprechende Nachrüstungen durchsetzen wolle.