In der Bildungspolitik hat Grün-Rot in den vergangenen zweieinhalb Jahren viel bewegt – und nach anfänglichem Holperstart inzwischen auch viel erreicht. Ein Gespräch mit der Grünen-Landesvorsitzenden Thekla Walker über die aktuelle Entwicklung bei den Gemeinschafts- und Ganztagesschulen sowie das Engagement des Landes bei der Schulsozialarbeit.
Thekla Walker, die Gemeinschaftsschulen sind ein Ur-Grünes Projekt. Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Landesamtes wechselten 5,7 Prozent der Viertklässler 2013 auf eine Gemeinschaftsschule. Zufrieden damit?
Auf jeden Fall! Wir befinden uns erst im zweiten Jahr der Gemeinschaftsschule – die ersten gingen 2012 an den Start. Vor einem Jahr entschieden sich knapp 1,7 Prozent der Eltern und Kinder für diese Schulart, 2013 waren es – entsprechend der größeren Zahl an Schulen – schon 5,7 Prozent. Wir haben inzwischen 128 Gemeinschaftsschulen, immer mehr Kommunen wollen eine Gemeinschaftsschule anbieten: Weil diese ein überzeugendes pädagogisches Konzept anbietet und dafür sorgt, dass auch Kinder im ländlichen Raum ohne weite Anfahrtswege zum gewünschten Schulabschluss kommen. Die aktuellen Übergangszahlen zeigen im Übrigen auch, dass Haupt- und Werkrealschulen vor dem Aus sind – die Eltern wollen sie nicht mehr für ihre Kinder. Die sogenannte „Abstimmung mit den Füßen“ gab es schon zu CDU/FDP-Zeiten, bloß wurden keine Konsequenzen gezogen.
Landes-Handwerkspräsident Joachim Möhrle wirft der CDU vor, die Bildungsreform der grün-roten Landesregierung und insbesondere die Gemeinschaftsschule zu blockieren.
Handwerk und Industrie unterstützen die Reform. Sie wissen, dass das veraltete dreigliedrige Schulsystem der CDU den Anforderungen einer modernen globalisierten Wirtschaft nicht mehr gewachsen ist: Viel zu viele Kinder gehen ohne die entsprechende „Ausbildungsreife“ von der Schule ab oder bleiben vorher sprichwörtlich auf der Strecke – insbesondere Kinder aus sozial schwachen Familien oder Kinder mit Migrationshintergrund. Wir wollen aber keine Kinder mehr zurücklassen! Und die Wirtschaft mahnt, dass wir uns das angesichts der demografischen Entwicklung und des drohenden Fachkräftemangels auch nicht mehr leisten können. Was mich in diesem Zusammenhang übrigens besonders freut, ist, dass 2013 mehr als 30 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund ans Gymnasium wechselten – das sind sieben Prozent mehr als noch im Jahr zuvor.
Kultusminister Andreas Stoch bedauert, dass nur zehn Prozent der Kinder mit Gymnasialempfehlung auf die Gemeinschaftsschule wechseln…
Ich hätte mir auch mehr gewünscht, bin aber überzeugt, dass sich das noch ändern wird, je etablierter Gemeinschaftsschulen werden. Es ist noch nicht überallhin durchgedrungen, dass das „Abi“ auch auf der Gemeinschaftsschule möglich ist – dann halt in 9 statt in 8 Jahren. Eltern wollen eine gute Schulbildung für ihre Kinder mit dem bestmöglichen Abschluss. Und Gemeinschaftsschulen sind so konzipiert, dass jedes Kind individuell nach seinen Fähigkeiten und seiner derzeitigen Entwicklungsstufe gefördert wird. Das gilt übrigens auch für Kinder mit Behinderung. Gemeinschaftsschulen sind inklusive Schulen.
Ein Schritt zu mehr Chancengleichheit ist auch ein Ganztagesangebot an den Schulen.Die grün-rote Landesregierung hat sich mit den Kommunalen Spitzenverbänden auf die Finanzierung geeinigt.
Diese Einigung nach jahrelangem Streit ist ein echter Fortschritt. Nach den Kitas – schon hier gibt es dank Grün-Rot einen Pakt mit den Kommunen – werden nun auch die Grundschulen und Grundstufen der Förderschulen familienfreundlicher. Unser Ziel ist eine gesicherte Kinderbetreuung – vom Kleinkindalter über den Kindergarten bis zur Grundschule. Später sollen die weiterführenden Schulen folgen. Wir rechnen mit 70 Prozent aller Grund- und Förderschulen, die dann Ganztagesangebote anbieten. Bisher sind es knapp acht Prozent, nachdem Schwarz-Gelb die Ganztagesschule jahrzehntelang ausgebremst hat.
Sind die Kommunen mit dieser Lösung zufrieden?
Ja. Ich zitiere stellvertretend Städtetagspräsidentin OB Barbara Bosch, die sagt: „Mehr als 45 Jahre nach dem Start der ersten Schulversuche gelangt die Ganztagsschule endlich ins Schulgesetz. Das ist ein Segen für viele Kinder und Eltern, ein Meilenstein in der Bildungspolitik des Landes und der Kommunen. Um ein für die Städte und Gemeinden faires Verhandlungsergebnis haben wir mit dem Land erfolgreich gekämpft“. Die Ganztagesschule wird auch nicht vom Land „übergestülpt“, wie die FDP ständig behauptet, sondern sie wird nur auf Antrag eines Schulträgers und mit Zustimmung der Schulkonferenz eingerichtet. Wichtig ist, dass sich die Kommunen bis zur Hälfte der ihnen zustehenden Lehrer-Stunden auszahlen lassen können. Dieses Geld können sie für die Angebote der örtlichen Vereine und Verbände verwenden, die sich im Ganztagesbereich engagieren wollen.
Wie unterstützt das Land die Kommunen bei der Finanzierung der Ganztagesschulen?
Das Land unterstützt den Ganztagesbetrieb mit zusätzlichen Lehrerstunden – es rechnet am Ende mit Zusatzkosten pro Jahr von rund 147 Millionen allein für die Grundschulen. Auch was die Betreuung während der Mittagspause anbelangt, gibt es einen fairen Kompromiss. Das Land übernimmt die Aufsicht außerhalb der Mensa, die Kommunen übernehmen das Mittagessen selbst und die Beaufsichtigung im Speiseraum. Sie beteiligen sich zudem an den Kosten, die für die Aufsicht der Kinder in der Pause nach dem Essen entstehen.
Wenn wir schon beim Geld sind: Schwarz-Gelb hatte sich aus der Schulsozialarbeit zurückgezogen, unter Grün-Rot gibt es wieder finanzielle Unterstützung für die Kommunen.
Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hat die Kommunen bei der Schulsozialarbeit im Regen stehen lassen. Die grün-rote Landesregierung hingegen wird zwischen 2012 und 2014 rund 55 Millionen dafür ausgeben. Mehr als 2600 Schulen bieten inzwischen Schulsozialarbeit an. Dabei geht es nicht nur um Sozialarbeit an Brennpunkten. Schulsozialarbeit ist heute ein Qualitätsmerkmal für alle Schulen. Eltern wissen, dass Kinder an Schulen mit Schulsozialarbeit in guten, qualifizierten Händen sind. Und sie entlastet auch die Lehrerinnen und Lehrer.