Interview mit Chris Kühn in The European über nachhaltige Industriepolitik, die neue Rolle der CDU als Oppositionspartei und die Zukunft von Stuttgart 21.
The European: Vergangenden Dezember schrieben Sie für The European, Baden-Württemberg sei bereit für den Wandel. Dieser ist nun eingetreten? Was bedeutet diese Zäsur für die Grünen?
Kühn: Wir sind uns der enormen Verantwortung bewusst. Das wird die erste Landesregierung, in der die Grünen einen Ministerpräsidenten stellen und die Regierung führen werden. Damit hat das Land Modellcharakter für die ganze Bundesrepublik. Wir nehmen diese Verantwortung besonnen und kraftvoll an.
The European: Auch in Berlin und Bremen liegen die Grünen in den Umfragen gut im Rennen, die Arbeit der künftigen Regierung hat also auch Signalwirkung für den Bund.
Kühn: Ja, aber alle Bundesländer sind auch unterschiedlich. Wir sind ein Flächenland, das sehr konservativ geprägt –und 58 Jahre von der CDU regiert war. Das ist natürlich etwas völlig anderes als die beiden Stadtstaaten Berlin oder Bremen. Deswegen kann man das meiner Meinung nach nicht wirklich vergleichen. Was aber als Trend zu erkennen ist: Die Grünen sind schon lange keine Nischenpartei mehr. Wir Grünen sind mit unseren Themen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und wir sind längst keine Ein-Themen-Partei mehr. Wir haben schon über Jahre hinweg über alle Politikfelder eigene grüne Kernmarken und Vorstellungen etabliert. Klar ist: Wir stehen an einer neuen Stelle der grünen Bewegung, in der Grüne nicht nur an Regierungen beteiligt sind, sondern diese auch führen können.
„Wir verstehen uns als Bürgerregierung“
The European: Doch auch die aktuellen Wahlergebnisse zeigen, dass das Land Baden-Württemberg relativ gespalten ist. Wie kann die neue Regierung das Vertrauen der skeptischen Bürger erlangen und langfristig halten?
Kühn: Wir verstehen uns ausdrücklich als Bürgerregierung. Wir wurden gerade auch deshalb gewählt, weil viele Menschen einen neuen Politikstil wollten. Wir wissen jedoch auch, dass wir nicht für alle Konzepte in unserem Koalitionsvertrag auch gesellschaftliche Mehrheiten haben. Deswegen möchten wir mehr Entscheidungsfreiheit an die Kommunen und die Menschen vor Ort geben. Und wir wollen den Dialog mit den Bürgern und ihre Ideen aufgreifen. Winfried Kretschmann nennt das die „Politik des Gehörtwerdens“, und ich denke, dass man damit Menschen überzeugen kann. Es ist aber auch klar, dass in der Opposition die CDU immer noch die stärkste Partei im Land ist.
The European: Wird also eine Zusammenarbeit mit der CDU angestrebt, um das Vertrauen zu erstarken?
Kühn: Zu einer modernen Demokratie gehört hinzu, dass man die Opposition nicht als „Dagegen-Partei“ abkanzelt. Deswegen werden wir auch auf die CDU zugehen. Wir wollen niemanden in diesem Land ausgrenzen und das Land gemeinsam demokratisch erneuern. Durch einige Aussagen der letzten Wochen wurde deutlich, dass die Union immer noch nicht versteht, warum sie nach 58 Jahren abgewählt worden ist. Sie hat einen Politikstil von oben geprägt, der zu einer modernen Bürgergesellschaft nicht mehr passt. In Baden-Württemberg ist die Zivilgesellschaft sehr rege, und wir wollen den Kontakt zu ihr ausbauen. Das gilt auch für die Wirtschaft, die auch ein Teil der Zivil- und Bürgergesellschaft ist.
The European: Sprechen wir über die Wirtschaftspolitik: Vergangene Woche beschwor die bayrische Landesregierung bereits das Ende des Baden-Württembergischen Wirtschaftswachstums und bot Firmen an, zukünftig in Bayern zu investieren. Zudem verlautete CDU-Generalsekretär Grohe, Grün-Rot setze den wirtschaftlichen Erfolg Baden-Württembergs in „unverantwortlicher Weise“ aufs Spiel. Wie gehen Sie damit um?
Kühn: Wir lassen das an uns abprallen, wenn eine halbe Stunde nach der Präsentation des Koalitionsvertrages die CDU bereits weiß, was auf über 80 Seiten beschlossen ist. Wir haben klar gesagt, was wir inhaltlich erreichen wollen und haben dafür bereits viel Lob erhalten, auch von Unternehmern. Letztlich ist es ein Oppositionsreflex, den die CDU an den Tag legt. In den Koalitionsvertrag ist auch eine Studie eingegangen, die die alte Landesregierung in Auftrag gab, und die vier zentrale Zukunftsfelder in der Wirtschafspolitik in den Vordergrund stellte: Resourccesschonender Maschinenbau, Gesundheitswirtschaft, Neue Informationstechniken und die erneuerbaren Energien. Darauf werden wir den Schwerpunkt unserer Wirtschaftspolitik setzen. Und ich wüsste nicht, warum eine solche ökologische Modernisierung die Wirtschaft in Baden-Württemberg gefährden sollte. Im Gegenteil: Wir machen sie fit für die Zukunft. Die Aufforderung, unsere Unternehmen sollten nach Bayern umziehen, ist ja auch von vielen als das entlarvt worden, was es ist: Ein bisschen dümmlich.
The European: Winfried Kretschmann meinte, die Industrie würde sich über die Grünen freuen, da Zukunftsindustrien gefördert würden. Was ist mit den bestehenden Industriezweigen, die ja nun insbesondere in Baden-Württemberg vertreten sind.
Kühn: Es gibt keine guten und schlechten Industrien. Wichtig ist, dass die Produkte zukunftsfähig sind. Uns ist klar, dass das Land ein ziemlich einmaliger Standort ist, wo noch eine starke Industrie existiert. Wir wollen diese Industrien fördern, aber sehen auch den Modellcharakter, um Klimaschutztechnologien voran zu bringen. Deswegen freuen sich die Unternehmen, die sich schon auf den Weg gemacht haben. Aber auch die großen Automobilhersteller haben in den letzten Jahren von dem grünen Automobil und Elektromobilität, anderen Antriebstechniken und Leichtbauweise gesprochen. Gerade Unternehmen, die auf Klasse statt Masse setzen, sollten verstehen, wie die Zukunft des Automobils aussieht. Daimler hat fortschrittliche Automobile und wir werden sie unterstützen, dass die baden-württembergischen Autoschmieden zum Vorreiter beim klimafreundlichen Automobil werden.
The European: Silke Krebs sprach von einem „Auto Downsizing“, also einer langfristigen Planung von kleineren Fahrzeugen. Ist es die Aufgabe der Landesregierung, so sehr in die Industrie einzugreifen?
Kühn: Dabei handelt es sich noch immer um die Strategie von Unternehmen. Aber Politik kann Innovation anstoßen oder über Modellprojekte im Bereich Forschung viel bewegen. Wir werden sicherlich im wissenschaftlichen Bereich Programme zur Elektromobilität oder Leichtbauweise auflegen. Wir haben eine Zukunftsvision von einem klimafreundlichen und erfolgreichen Automobilstandort, da geht es sicher um Veränderungen. Autos müssen nicht immer größer und schneller werden, sondern leicht, klein, effizient und zuverlässig. Die großen Regelungen werden natürlich im Bund oder in der EU getroffen, wir können jedoch über den Bundesrat und die Vertretung in Brüssel Einfluss nehmen.
„Die ältesten Atomkraftwerke müssen dauerhaft vom Netz“
The European: Ein weiteres deutliches Ziel ist die Energiewende und ein atomfreies Baden-Württemberg. Doch die Energiepolitik ist eigentlich Bundessache – was können Sie bewegen?
Kühn: Grün-Rot wird eine konsequente Energiewende weg vom Atom hin zu den Erneuerbaren einleiten – und Baden-Württemberg so zum Musterland einer zukunftsfähigen Energieversorgung machen. Wir werden uns auf Bundesebene für einen möglichst schnellen Atomausstieg stark machen. Die ältesten Atomkraftwerke müssen dauerhaft vom Netz gehen. Die Landesregierung hat außerdem die Atomaufsicht inne – und wir werden diese konsequent ausführen. Die bisherige Regierung ist viel zu lax mit Sicherheitsauflagen und -bedenken umgegangen ist. Da werden wir einen wirklichen Politikwechsel betreiben. In der Windkraft ist Baden-Württemberg bislang weit abgeschlagen, die Nutzung liegt unter einem Prozent. Wir haben klare Ziele, wir wollen bis 2020 zehn Prozent unseres Stromes mit Windkraft erzeugen. Dazu werden wir das Landesplanungsgesetz ändern und so mehr Gebiete für die Windkraftnutzung ausweisen.
The European: Vergangendes Jahr erwarb Ministerpräsident Mappus Anteile an dem Unternehmen EnBW, das Unternehmen lebt zu 50% von der Produktion von Atomstrom. Wie kann das mit der geplanten Politik vereinbart werden?
Kühn: Wir werden über den Aufsichtsrat Einfluss auf das Unternehmen ausüben und das Unternehmen mit grünen Ideen in eine andere, zukunftsfähige Richtung zu bewegen. Klar ist aber auch, dass der Kauf ein Fehler war und eine Hypothek für den Landeshaushalt darstellen wird.
The European: Zusäzlich dazu kommen Kosten für den Energiewandel. Wie sollen diese getragen werden?
Kühn: Kosten für die Energiewende stehen für mich gegenüber den Kosten für den Klimawandel und der Atomenergie. Energie ist ein Bereich, der schon immer politisch gesteuert wurde, auch die Atomkraft wurde und wird subventioniert. Jede Art der Energieerzeugung kostet. Energie ist teuer, deswegen müssen wir erstens sparsam mit ihr umgehen. Zweitens muss sie sicher und zukunftsfähig sein, das sind die erneuerbaren Energien. Es bleibt uns als Gesellschaft gar nichts anderes übrig, als darin zu investieren. Deswegen muss man kluge Gesetze machen. Auf Bundesebene zeigt das EEG, dass die Energiewende auch ohne Subventionen geschafft werden kann. Ich sehe es also nicht als Frage der Kosten, sondern der Kostenvermeidung. Es kostet das Land nichts, das Landesplanungsgesetz zu ändern, und damit werden private Investitionen in den Bereich Windkraft gehen. Die Kosten für Stromtrassen und Speichertechnologien lassen sich marktwirtschaftlich organisieren.
The European: Dennoch verblüfft die Ankündigung Winfried Kretschmanns, dass nun unter anderem auch in Baden-Württemberg nach einem neuen Endlager für Atommüll gesucht werden kann. Kommt mit dem Atomausstieg eventuell der Atommüll nach Baden-Württemberg?
Kühn: Es geht nicht um einen Standort in Baden-Württemberg, sondern darum, dass das Land sich für eine bundesweite, ergebnisoffene Suche nach einem Endlager einsetzt. Politik soll nicht festlegen, wo das Endlager für den Atommüll ist, sondern wissenschaftliche Experten. In Gorleben ist ja genau die politische Festlegung schief gegangen. Nun müssen wir in ganz Deutschland suchen, dazu gehört natürlich auch Baden-Württemberg. Solange die Atomkraft betrieben wird, ist die Suche aber schwierig. Erst nach dem gelungen Ausstieg werden wir wissen, wie viele Tonnen Atommüll angefallen sind, und erst dann kann man ein Endlager suchen, was auch eine Akzeptanz in der Bevölkerung hat.
„Drei Viertel der Parteien wollen Stuttgart 21 zu Ende bauen“
The European: Ein weiteres Problemthema ist Stuttgart 21 – nun wurde vereinbart, zunächst den Stresstest durchzuführen und anschließend das Volk über das Projekt abstimmen zu lassen. Viele Experten bezweifeln jedoch, dass das dazu nötige Quorum erreicht wird. Wird Stuttgart 21 dann doch gebaut?
Kühn: Nun wird erst der Stresstest transparent durchgeführt. Dann werden wir auf der Grundlage die Kosten des Projektes berechnen. Auf dieser Kostenrechnung werden wir die Volksabstimmung einleiten. Aber klar ist Wir Grüne werden alles dafür tun werden, dass Stuttgart 21 nicht gebaut wird. Unser Koalitionspartner ist für Stuttgart 21, normalerweise ist es schon schwierig unter dieser Bedingung eine Koalition einzugehen. Doch wir haben uns nun auf einen Kompromiss geeinigt, der unter anderem auch einen Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro vorsieht. Wird S21 teurer, zahlt das Land keinen müden Cent mehr – und wir werden ja sehen, ob Bahn und Bund unter diesen Bedingungen weiterbauen wollen. Letztlich wird darüber entschieden, ob es zu finanzieren ist oder nicht. Das Quorum ist sicher sehr hoch und viele denken, dass man es nicht erreichen kann. Aber vor einem Jahr hätte auch niemand gedacht, dass es eine grün-rote Regierung geben würde. Insofern gehe ich in diesen Prozess sehr optimistisch. Klar ist, dass die Grünen alles dafür tun, dass das Projekt nicht gebaut wird. Im Landtag haben wir jedoch nur ein Viertel der Stimmen, drei Viertel der Abgeordneten gehören Parteien an, die dieses Projekt zu Ende bauen wollen. Dafür haben wir in dem Koalitionsvertrag sehr viel erreicht.
The European: Wie könnte sich dieses Thema langfristig in das Vertrauen in die Grünen niederschlagen?
Kühn: Wir wurden oft gefragt, ob wir versprechen könnten, dass wir Stuttgart 21 verhindern. Wir haben immer gesagt: Wir können das nicht versprechen. Aber wir versprechen, dass wir wir alles dafür tun, dass es beendet wird. Vor allem geht es darum, dass Transparenz hergestellt wird. Bei Stuttgart 21 war das Problem immer, dass die Regierung falsche Zahlen in den Raum gestellt hat und nicht auf die Bürgerbewegung eingegangen ist. Wir werden den Dialog suchen und die Zahlen auf den Tisch legen. Die Vertrauensfrage ist also, dass wir den Prozess offen und transparent gestalten. Das bringt langfristig Vertrauen.