Der Club of Rome hat schon in den 70er Jahren die „Grenzen des Wachstums“ vorausgesagt, seit Jahren warnen Wissenschaftler*innen vor den drastischen Folgen der vom Menschen verursachten Erderwärmung. In der politischen Debatte wurde das dennoch lange zur Seite geschoben. Im Interview spricht unser Umweltminister Franz Untersteller über wirksame Instrumente und die Chancen der neuen Klimabewegung.
Das Gespräch führte Caroline Blarr für Grüne Blätter 2/2019: Klimakrise.
„Fridays for Future“ hat etwas geschafft, was bisher keiner Klimakonferenz gelungen ist: Klimaschutz steht an der Spitze der politischen Agenda. Warum hat das so lange gedauert?
Franz: Die Beschlüsse der Klimakonferenz von Paris 2015 waren und sind von überragender Bedeutung: Die internationale Staatengemeinschaft hat sich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad einzudämmen. Seitdem ist in der Tat noch zu wenig passiert. Der Klimawandel blieb lange abstrakt. Der Dürresommer 2018, Starkregenereignisse, Ernteausfälle – auf einmal sind die Folgen bei uns sehr real und spürbar. Wir begreifen, dass der Klimawandel uns alle betrifft. Da treffen die Jugendlichen einen Nerv, wenn sie sagen: Die nächsten Jahre entscheiden über unsere Zukunft und darüber, ob dieser Planet lebenswert bleibt. Und vor allem: Sie haben Recht.
Der Meeresspiegel steigt, es gibt sintflutartige Niederschläge, andernorts treten Dürren auf. Was können wir gegen die Klimakrise unternehmen?
Franz: Der Klimawandel kennt keine Grenzen. Baden-Württemberg hat gemeinsam mit Kalifornien die Under2-Coalition initiiert, um ein weltweites Bündnis unterhalb der nationalstaatlichen Ebene zu schmieden. Inzwischen umfasst unsere Allianz 222 Regionen und Kommunen. Neben dem Austausch über wirksamen Klimaschutz- und Anpassungsstrategien geht es darum, unsere Partner aus Entwicklungsländern beim Klimaschutz zu unterstützen.
Wie erleben wir ganz konkret den Klimawandel in Baden-Württemberg?
Franz: Ein Rekordsommer folgt dem nächsten. 15 der 20 wärmsten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnung 1881 fielen bei uns auf die vergangenen Jahre. Die Zahl der Tage über 30 Grad nimmt zu. Durch die Erwärmung blühen zum Beispiel die Obstbäume früher. Spätfrost gibt es aber trotzdem. 2017 haben wir die Folge erlebt: Zwei Frostnächte haben einen Großteil der Obsternte zerstört. Auch Ernteausfälle durch Dürre werden häufiger. Wir müssen verstärkt mit Wasserknappheit rechnen, beispielsweise in Teilen des Schwarzwaldes. Niedrige Wasserstände beschränken die Schifffahrt, die Fische leiden. Und unsere Städte heizen sich weiter auf. Das wird vor allem für ältere Menschen und Kleinkinder zur Belastung.
Deshalb arbeitest du an einem neuen Klimaschutzgesetz: Bis 2030 will das Land seine CO2-Emissionen um mindestens 42 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Wie gelingt das?
Franz: Wir werden weiter den Ausbau der Erneuerbaren forcieren, zum Beispiel bei der Windenergie, bei der Freiflächen-PV und insgesamt bei der Photovoltaik. Entscheidend wird sein, dass die Wärmewende an Fahrt gewinnt. Da schlummert viel ungenutztes Potenzial. Die Energiewende ist bislang vor allem eine Stromwende. Auch die Wärme muss aus klimafreundlichen Quellen kommen. Um die Klimaziele zu erreichen, ist die Wärmeplanung in den Kommunen ein Schlüssel. Da gehen wir jetzt voran. Es geht um energetische Sanierungen, es geht um Wärmenetze, aber auch um kluges Management. Unsere Industrie produziert viel Wärme als Nebenprodukt, die wir zum Beispiel für Gebäude nutzen können.
Aber die Möglichkeiten der Landespolitik sind doch begrenzt …
Franz: Klar, ohne den Bund und die EU werden wir es nicht schaffen. Auf europäischer Ebene brauchen wir strengere CO2-Grenzwerte im Verkehr und eine Reform des Emissionshandels, auf Bundesebene einen sektorenübergreifenden CO2-Preis, eine ökologische Steuerreform, ein Gebäudeenergiegesetz und endlich den Wegfall jeglicher Hindernisse für den Ausbau der Erneuerbaren.
Was ist davon die wichtigste Stellschraube für mehr Klimaschutz?
Franz: Das wäre ein Mindestpreis im europäischen Emissionshandel, der über die Zeit ansteigt. Der Preis war jahrelang viel zu niedrig. Die Folge: Der Emissionshandel hat nicht funktioniert, weil der CO2-Ausstoß einfach zu billig war. Wir brauchen dafür allerdings einen einstimmigen Beschluss im Europäischen Rat. Das kann dauern. Besser wir führen erst mal einen nationalen CO2-Mindestpreis ein und kooperieren mit Partnern in Europa, etwa mit Frankreich.
Barack Obama hat 2015 gewarnt: „Wir sind nicht die letzte Generation, die den Klimawandel erleben wird, aber wir sind die letzte Generation, die etwas dagegen tun kann.“ Schaffen wir das?
Franz: Wir schaffen das. Die „alte“ Umweltbewegung, in der ich selbst politisch sozialisiert wurde, hat enorm viel erreicht. Der Handlungsdruck ist größer denn je. Deshalb bin ich überzeugt, dass diese neue Bewegung die Klimapolitik verändern wird.
Ein Beitrag aus unserer Mitgliederzeitschrift zum Thema Klima: Grüne Blätter 2/2019: Klimakrise.