„Atomkraft ist eine Hochrisiko-Technologie, die wir nie ganz beherrschen können“, macht der Grünen-Spitzenkandidat Winfried Kretschmann im Interview deshalb. Deshalb müssen wir so schnell wie möglich aus der Atomkraft aussteigen.
Die schreckliche Atomkatastrophe in Japan haben zu einer neuen Atom-Debatte bei uns geführt. Wie erlebst Du die Vorgänge?
Winfried Kretschmann: Die Ereignisse in Japan erschüttern uns alle zutiefst. Schon das Erdbeben und der Tsunami haben viele Menschen getötet und schreckliches Leid über das Land gebracht. Dazu kommt jetzt noch eine atomare Katastrophe, deren Ausmaß wir noch nicht abschätzen können. Innerhalb von gut 30 Jahren erleben wir also den dritten schweren Störfall nach der Beinah-Kernschmelze in Harrisburg und dem Super-GAU in Tschernobyl.
Das alles macht auf erschreckende Weise deutlich: Atomkraft ist eine Hochrisiko-Technologie, die wir nie ganz beherrschen können. Der Mensch ist nicht allmächtig – und der Glaube, wir hätten die Atomkraft im Griff, ist in Wahrheit ein schrecklicher und hochmütiger Irrglaube. Denn im schlimmsten Fall – wenn eben alles zusammenkommt, was schiefgehen kann – ist Atomkraft nicht durch Menschenhand zu kontrollieren. Und das mit unermesslichen Folgen.
Verantwortungsvolle Politik muss sich daher das Ziel setzen – und nicht erst seit Fukushima –, die Nutzung der Atomkraft so schnell wie möglich zu beenden. Das ist unsere Maxime, seit es die Grünen gibt.
Schwarz-Gelb setzt jetzt die von ihnen beschlossene Atom-Laufzeitverlängerung für drei Monate aus und nimmt die sieben ältesten AKWS vorübergehend für drei Monate vom Netz. Wie bewertest Du das?
Kretschmann: Es wäre schön wenn CDU und FDP zur Einsicht gekommen wären. Aber letztlich ist das Moratorium nur ein taktisches Manöver, um sich über die nächsten Landtagswahlen zu retten. Sie setzen die Laufzeitverlängerung drei Monate aus, um so zu tun, als täten sie was. Das ist beschämende Symbolpolitik. Klar ist: Es muss um Abschalten gehen und nicht um Aussetzen!
Wir Grüne hatten mit der SPD in der Bundesregierung eine Energiewende eingeleitet und den Atomausstieg auf den Weg gebracht. Diese Energiewende hat Schwarz-Gelb brüsk gestoppt. Der Ausstieg aus dem Atomausstieg war ein Kniefall der CDU und der FDP vor der Atomlobby. Was Merkel und Mappus jetzt machen ist nicht Entscheiden, sondern das Vortäuschen von Entscheidungen. Sie steigen ein bisschen aus – und das auch nur für drei Monate.
Was muss jetzt passieren? Und was machen die Grünen, wenn sie die Landesregierung stellen?
Kretschmann: Als erstes müssen wir zum Atomausstieg zurückkehren. Das von Schwarz-Gelb beschlossene dreimonatige Moratorium ist eine Farce. Die von CDU und FDP durchgeboxte Laufzeitverlängerung von im Schnitt 12 Jahren muss zurückgenommen werden – und zwar endgültig.
Zum zweiten müssen die sieben ältesten – und damit unsichersten – deutschen Atomkraftwerke für immer vom Netz gehen. Das heißt für Baden-Württemberg: Wir werden die Schrottreaktoren Neckarwestheim I und Phillipsburg I endgültig abschalten.
Außerdem müssen alle deutschen Atomkraftwerke umfassend und konsequent überprüft werden. Die am Netz verbleibenden AKWs müssen entsprechend des aktuellen Stands von Wissenschaft und Technik nachgerüstet werden.
Wir Grüne wollen in Baden-Württemberg an der Regierung eine Kehrtwende bei der Energiepolitik einleiten. Wir werden mit einem Masterplan den schnellen Ausbau der Erneuerbare Energien und der Energieeffizienz in Baden-Württemberg erreichen. Wir werden die schwarz-gelbe Windkraftblockade aufheben, die industrielle Kraft-Wärme-Kopplung voranbringen, Energiesparen zum Trend machen und Nahwärmenetze ausbauen. Wir machen den Weg für die Energiewende frei.
Wie siehst Du die Rolle von Mappus?
Kretschmann: Wie glaubwürdig Mappus ist, wenn er jetzt das dreimonatige Aussetzen der Laufzeitverlängerung lobt und die Abschaltung von Neckarwestheim I ankündigt, zeigt sein massives Eintreten für längere Laufzeiten im letzten Jahr. Er hat sich wie kein zweiter Ministerpräsident für die Kernkraft stark gemacht. Das ging so weit, dass er seinen Parteifreund Bundesumweltminister Röttgen zum Rücktritt aufforderte, da er ihm in der Atompolitik zu zögerlich war. Mindestens 15 Jahre wollte er die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängern. Mappus hat den Atom-Lobbyismus faktisch zum Leitmotiv seiner Amtszeit gemacht. Und er hat damit dafür gesorgt, dass in Baden-Württemberg erst in einem Vierteljahrhundert das letzte Atomkraftwerk von Netz gehen soll – später als in allen anderen Bundesländern.